Aug um Aug, Stein um Stein

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Groß war natürlich die Aufregung in den letzten Tagen, als man sah, dass der hochgeschätzte US-Präsident das Atomabkommen mit dem Iran aufkündigte; und groß natürlich auch die sogleich folgende Empörung über ebendiesen Schritt, der sich ja fast schon routinemäßig als Trump-Wahnsinn abstempeln ließe – zumindest dürfte dies das Urteil sein, zu dem man gerne gelangt.
Oder aber man geht gerne noch einen Schritt weiter wie Jakob Augstein – seines Zeichens Spiegel-Kolumnist und garantiert kein Antisemit – und macht mutig einen Rückgriff auf Vergangenes, indem man ein Gedicht mit dem Titel „Was gesagt werden muss“ herauskramt, jenes Gedicht also, mit dem Günter Grass vor einigen Jahren seinen Unmut über die Situation im nahen Osten kundgab, wobei der Fokus – vermutlich rein zufällig – auf Israel lag und der unfairen Situation, in der er, also Grass, sich befinde und die es ihm ja so schwer mache, Israel zu kritisieren. Man könnte mit gutem Willen vielleicht darüber hinwegsehen, dass ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS sich diese Situation ja irgendwie auch selbst eingebrockt habe und das einzige Vergehen der Juden darin bestand, sich von den Nazis industriell ermorden zu lassen; und man mag sicher auch die literarischen Leistungen des hochverehrten Herrn mit dem alliterierenden Namen nicht anzweifeln; und man würde eventuell auch noch vergessen, dass – wie die Wirklichkeit nun einmal lehrt – die Vergangenheit des Nationalsozialismus Deutsche weder privat noch in den Medien nennenswert davon abhält, Israel zu kritisieren, während lediglich immer ein angebliches Verbot solcher Kritik herbeigeredet und anschließend tapfer übertreten wird, wofür Herr Grass letztlich nur eines von vielen Beispielen war. Doch selbst unter all diesen Voraussetzungen schließt sich zwangsläufig immer noch die Frage an, was denn nun an der Persönlichkeit Grass einen stichhaltigen Grund dafür geben könne, seine Meinung in dieser Angelegenheit als plausibel oder differenziert anzusehen, bedenke man insbesondere auch die übler klingenden Stellen des oben erwähnten Stücks Lyrik?
Nun geht es Herrn Augstein aber nicht einmal um diese „kritischeren“ Stellen des Propaga… Prosagedichts, von denen er einige kurz abhandelt, indem er sagt, sie seien „Unsinn“, womit zumindest an der Stelle soviel eingestanden ist, als dass Israels Atomwaffen nicht den Weltfrieden gefährden (aber nur, weil es nie einen gab; und ein Zweifel an dem Ganzen, der aufgrund der Tatsache, dass man es hier zumindest schon stellenweise mit Unsinn zu tun hat, vielleicht berechtigt wäre, bleibt natürlich weiterhin aus). Stattdessen adressiert Augstein die Stelle des Gedichts, in der Grass fordert – und das dürfe man ja schließlich als Großschriftsteller –, „dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird“. Augstein konstatiert, dass man hier wohl besser auf den Dichter hätte hören sollen, dass aber der Vorschlag nie wirklich diskutiert worden sei; gleichzeitig ist der Rest von Augsteins Kommentar gefüllt mit der gewohnten Gleichmachung der Parteien, die ja irgendwie alle Schuld seien, wobei der Fokus aber wieder einmal auf den USA und Israel zu liegen scheint. Doch muss an der Stelle die vorsichtige Nachfrage erlaubt sein, ob diese Philosophie, in der Theorie schön klingend, auch in der Praxis verwirklicht werden könne; und man dürfte hier vielleicht das Atomabkommen selbst heranziehen und auf den leider oftmals untergehenden Umstand verweisen, dass hier schon der uneingeschränkte Zugang zu allen Anlagen des Irans de facto nicht gewährleistet wurde, da ein Schlupfloch bezüglich nicht deklarierter Anlagen besteht und diese zu kontrollieren vom Iran auf 24 Tage hinausgezögert werden kann, laut Experten eine ausreichende Zeitspanne, um Spuren eines im Gegensatz zu eben genanntem Vorschlag durchaus in die Praxis umgesetzten Atomprogramms zu beseitigen. Zudem wäre es auch bei aller gerechtfertigten Abneigung gegen Trump nur fair, wenn man die laut Abkommen und UN eigentlich nicht erlaubten iranischen Tests von Mittelstreckenraketen zumindest einmal kurz erwähnte; ebenso wie die Tatsache, dass, sollte der Iran das Abkommen nicht verlängern wollen, er es auch nicht tun muss und jederzeit aussteigen kann, aber für die Dauer des Abkommens Zugang zum internationalen Waffenmarkt erhält, sodass man mit dem Abkommen generell vielleicht nur einen Aufschub erhält, die Atomwaffenmacht Iran nur hinauszögert, sie aber letztlich dabei sogar noch militärisch stärken könnte.
Für Herrn Augstein stellen derartige Erwägungen indes kein Problem dar, wagt er sich doch selbst gar an solche, deren zufolge es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn einfach jeder Staat da unten seine eigenen Atomwaffen hätte – das System der gegenseitigen Abschreckung hätte schließlich im Ost-West-Konflikt auch funktioniert und sei hier nur deswegen nicht bevorzugte Lösung, weil man ja eifrig das Vorurteil gesät habe, dass die Iraner allesamt verrückt seien. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht und man eher Bedenken aufgrund der Tatsache hegt, dass aus den höchsten Stellen der iranischen Politik und Gesellschaft immer mal wieder der Wunsch nach einer Vernichtung Israels nur allzu deutlich formuliert wird (und Augstein erwähnt sogar selbst ein treffendes Beispiel mit dem Geistlichen Ahmad Khatami, der letztens mit der Zerstörung Tel Avivs drohte), lässt sich natürlich geflissentlich übergehen, ebenso wie die Tatsache, dass man mit einer derartigen Praxis doch der gerade noch als absurd geschilderten Angst Israels vor einer iranischen Atombombe jegliches Existenzrecht einräumen würde.
Bei alledem habe ich nun natürlich die Frage ausgespart, was denn aus meiner persönlichen Sicht vom Aufkündigen des Atomabkommens zu halten sei: Es wäre vielleicht zu glauben, dass dies den richtigen Schritt darstelle; oder dass eine Beibehaltung die bessere Variante sei; oder dass mir schlicht andere Möglichkeiten einfallen würden, die den beiden vorher genannten vorzuziehen gewesen wären. Doch hier kann ich mich – Gott sei’s gedankt bzw. geklagt – auf den Umstand berufen, eben kein Jakob Augstein oder gefeierter Großschriftsteller zu sein und es mir entsprechend auch erlauben, zu diesem Thema zu schweigen.

Kommentare 6

  • Ausgezeichneter Artikel, wobei mich deine persönliche Meinung zum Atomabkommen schon sehr interessieren würde!

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  • Bin jetzt zu faul diesen Artikel zu lesen, aber wie kommst du drauf, dass Augstein "garantiert kein Antisemit" ist? Ich habe erst kürzlich eine Doku über Antisemitismus gesehen und da wurde ein Zitat von Augstein aus einer Spiegel-Kolumne als Beispiel für antisemitische Codes genannt. Hat mich selbst überrascht, hab daher auch näher recherchiert und war verblüfft was ich da alles an Vorwürfen gegen ihn gefunden habe. Ich möchte damit nicht sagen, dass er Antisemit ist, allerdings würde mich schon interessieren woran du festmachst, dass er "garantiert kein Antisemit" ist?

  • Nächstes Mal vielleicht am Ende ein tl;dr anfügen, ansonsten: Guter Artikel :) :) :)

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