Erlebnisbericht zum Safari-Event in Dortmund

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Anlässlich des zweiwöchigen Jubiläums des oben im Titel erwähnten Events poste ich das halt einfach nochmal hier. Es hat auch sehr viele Bilder.


Erlebnisbericht zum Safari-Zonen-Event in Dortmund

Früher schickte Gott einer Stadt Heuschrecken, vorletztes Wochenende waren es jedoch Pokémon-GO-Spieler, die von des Herrn gottgleichen Stellvertretern (Niantic) auf den kleinen Standort Dortmund losgelassen wurden. Wir haben uns das Event in voller Größe angesehen und präsentieren Ihnen die wichtigsten Eindrücke.


Samstag, der 30. Juni, beginnt mit Sonnenschein und strahlend blauem Himmel. Ich prüfe ein letztes Mal die Powerbank, sehe zufrieden auf die volle Anzeige meines Smartphoneakkus, setze Sonnenbrille und Kappe auf, verstaue meine Powerbank mitsamt meinem Taser im Rucksack. Gerade als ich die Wohnung verlassen will, ruft mich meine Mitbewohnerin zurück: „Wo willst du hin? Wir wollten doch heute mit dem Hochdruckreiniger die Terrasse putzen und dann streichen!“

Ich schlage mir vor den Kopf, denn das legendäre Event in Dortmund hatte alles andere aus meinem Bewusstsein verdrängt, auch die Reinigung unserer grandiosen, 40 Quadratmeter großen Dachterrasse, auf der wir regelmäßig mit Freunden meiner Mitbewohnerin (ich habe keine) grillen, Champagner trinken und über das Proletariat ablästern. Nun bleibt mir die Wahl: Ärger mit meiner Mitbewohnerin oder aber ein paar Stunden von dem Event verpassen. Die Entscheidung fällt mir schwer, das heißt, sehr leicht: „Sorry! Bis morgen Abend!“


Die Fahrt nach Dortmund ist für mich auch eine Rückkehr in meine alte Heimat. Vor wenigen Jahren habe ich noch in dieser Stadt gewohnt, habe ihre gute Luft eingeatmet und mich durch die Grundschule und das Gymnasium geprügelt. Hier wurde ich kommuniziert, und hier bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich fühle mich wie Peter Faber, der im Dortmunder Tatort der Kommissar ist, welcher nach langer Zeit in diese wunderschöne Stadt zurückkehrt, in der es keinen Platz für Rechtsextremismus gibt. Und wie er ein billiger Abklatsch des klischeehaften, etwas seltsamen und leicht psychotischen Ermittlers ist, so bin auch ich eine billige Kopie erfolgreicherer Formate. Die Parallelen sind stark, verfolgen mich während der Zugfahrt und lassen meine Gedanken in ihren Quadraten kreisen, ohne zu einem präsentablen Ergebnis zu kommen.


Über das Event ist in allen großen Zeitungen berichtet worden. 55.000 Menschen werden erwartet, wahrscheinlich werden es noch ein paar mehr. Ganz Dortmund wird für zwei Tage zu einer Safari-Zone: Seltene Pokémon wie Waumpel, Wablu und Karpador können endlich in Massen gefangen werden. Außerdem werden Icognito fangbar sein; dabei handelt es sich um Pokémon, die in verschiedenen Formen auftreten können und die jeweils einem Buchstaben des Alphabets ähneln. Wie die Ruhr-Nachrichten melden, können sie hier „in den Buchstaben D, O, R, T, M, U, N, D“ gefangen werden. Die doppelte Erwähnung des D sorgt für Verwirrung und gibt Rätsel auf: Handelt es sich um eine andere Variante des D? Eine Antwort finde ich nirgendwo, aber vielleicht ändert sich das, sobald ich erst einmal an dem Hauptort der Veranstaltung bin: Im Westfalenpark, in dem der Eintritt heute kostenlos ist und in dem Stationen aufgestellt wurden, an denen man Akkus und Wasserflaschen gratis auffüllen kann. Ich erinnere mich noch gut an die Besuche mit meiner Familie im Park während meiner Kindheit und freue mich darauf, die altbekannten (Spiel-)Plätze wiederzusehen.


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Zeitungsartikel der Konkurrenz (Fehler sind rot markiert)


An den Westfalenhallen verlasse ich die U-Bahn und stelle fest, dass ich meinem Heimatort vollständig entwöhnt bin und keine Ahnung habe, in welche Richtung ich gehen muss. Ich öffne die App auf meinem Smartphone, doch sie hilft mir nicht weiter. Allerdings spawnt direkt ein Larvitar, das ich umgehend fange. Den Account habe ich von einem Mann namens Gerd geerbt, den ich mitsamt seiner Frau Irene einst bei ein paar Raids begleitet hatte. Nachdem Gerd vor drei Wochen während der Pokémonjagd von einem Flugzeug überrollt wurde, hat mir seine Frau einen der zwei Accounts ihres Mannes überlassen, da zu viele Erinnerungen daran hängen. Mit diesem Account habe ich mich die letzten drei Wochen intensiv auf die Safari vorbereitet.

Ich entscheide mich schließlich, in irgendeine Richtung loszulaufen, doch als ich mich auf dem Mittelpunkt des Spielfeldes im Signal-Iduna-Park wiederfinde, glaube ich, dass ich doch umkehren muss. Ein freundlicher Aufpasser befördert mich mit einem Fußtritt in die richtige Richtung. Die Laufstrecke zum Park nutze ich, um ein paar Pokémon zu fangen.


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Hätte es nur einen Hinweis darauf gegeben, in welcher Richtung der Westfalenpark liegt ...


Drei schillernde Roselia später bin ich am Eingang angekommen. Mein Rucksack wird von einem Mann kontrolliert, der meinen Taser dahingehend kommentiert, dass er so eine komische Powerbank noch nie gesehen habe, aber er sei ja auch nicht vom Fach. Er greift mir zur Sicherheit noch dreimal in den Schritt, dann darf ich den Park betreten. Überall sind Menschen, de auf ihre Smartphones gucken und mit den Fingern über die Bildschirme fahren. Die meisten benutzen hierfür den Daumen der Hand, mit der sie das Handy auch halten. Nur wenige Spieler bevorzugen es, den Zeigefinder der anderen Hand zu nehmen. Ich selbst fange mit gekonnter Daumenbewegung ein schillerndes Hydropi, sofort friert mein Spiel ein, der Neustart dauert 37 Minuten. Erste Rufe des Unmuts werden unter den anderen Mitspielenden laut, denen offenbar dasselbe passiert ist, die Angestellten an den Informationsständen werden gelyncht. Ich sehe aus sicherer Entfernung zu und greife in dem Tumult 23 Pikachukappen ab, die in ein paar Jahren mal viel wert sein dürften. Eine Lautsprecheraussage ruft zur Mäßigung auf, einige Spieler verlassen den Park. Kurz darauf scheint das Spiel besser zu laufen, die Leute jubeln über vereinzelte Shinys, ein Kind fällt in Ohnmacht. Dann rennen alle plötzlich los, am Flamingoteich wurde ein 100%-Larvitar gesichtet. Mein Weg jedoch führt mich in die andere Richtung, zu den Plätzen meiner Kindheit.


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Also, eins von beidem kann ja nicht richtig sein ...


Am See der Seebühne halte ich inne und beobachte eine der romantischsten Szenen, die ich je erleben durfte: Ein Pärchen in einem Boot, beide Pikachukappen auf, der Mann rudert, die Frau sitzt am anderen Ende des Bootes und genießt. Hätte ich doch auch nur einen Mann, der mich so verwöhnt. An einer anderen Stelle des Sees strampelt sich ein anderes Pärchen im Tretboot ab, fährt jedoch immer nur im Kreis. Sie schreien einander wütend an, die Gemüter sind offenbar erhitzt. Bei ihren hochroten Köpfen fällt mir ein, dass ich mich nicht mit Sonnencreme eingecremt habe – hoffentlich kein fataler Fehler. Das siebte schillernde Roselia landet in einem Superball.


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Essen aus der Heimat von Pokémon


Die Reise durch den Park führt vorbei an diversen Ständen und Wagen, die hoffnungslos überteuertes Essen anbieten, das dann Durst auf hoffnungslos überteuerte Getränke macht. Ich lasse mich davon nicht locken und kaufe daher nur eine kleine Pommes Schranke, um es den Essensverkäufern zu zeigen. Ihre Gesichter verraten Hass, aber auch respektvolle Anerkennung. Ich betrachte kurz eine hölzerne Hippoterus-Statue und wundere mich ein wenig: Die vierte Generation ist doch noch gar nicht draußen? Vielleicht ein subtiler Hinweis der Veranstalter? Oder eine gezielte Irreführung? Die Antworten auf diese Fragen stecken irgendwo da draußen in den Köpfen der Entwickler der App. Werde ich sie aber heute vielleicht auch hier im Park entdecken können?


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Hinweis auf die vierte Generation? Hippoterus-Statue aus Holz


Ich bin endlich an dem Ort angekommen, der mir in meiner Kindheit beinahe die meiste Freude bereitet hat: Der Robinson-Spielplatz. Heute sieht er stark verändert aus, man setzt offenbar nun auf immer lebensechter wirkende Piratenschiffe. Früher bin ich durch die Röhren gekrabbelt, die einen der Hügel hier unterwandern und habe mich dabei dreckig und nass gemacht. Fantastisch waren auch immer diese … Keine Ahnung, wie man die nennt, so eine Art Sitz an einem sehr, sehr langen Seil, auf dem man sich dann zwischen zwei Hügeln hin- und herschwenkt.


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Diese Teile halt: Ein todesgefährliches Vergnügen


Wahre Höllenmaschinen, auf die mein risikobewusstes heutiges Ich auch nicht von hundert Pferden mehr gekriegt werden könnte. In einem kleinen Teich machen ein paar Leute den Fehler, in die riesigen Fässer zu steigen und sich dann mittels der mit langen Holzpfosten erfolgenden Abstoßung vom Grund voranzubewegen. Die Fässer sind immer undicht und sorgen mindestens für nasse Füße, wenn sie nicht sowieso untergehen. Nur Idioten würden da einsteigen, aber Dumme finden sich nun einmal immer irgendwo.


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Nur Idioten würden sich so nass machen


Ich beschließe, die Situation im Park etwas spannender zu gestalten, oder es zumindest zu versuchen: Nach dem Fang eines Corasonn schaue ich demonstrativ verwirrt auf mein Handy, rufe WhatsApp auf und mache laut, aber unschuldig eine Sprachnachricht: „Du, Chris, kennst du zufällig ein Viech namens Zorua? Ich habe gerade ein Corasonn gefangen und das hat sich dann darin verwandelt, also wie ein Ditto quasi.“ Verstohlen sehe ich mich um. Ein paar Leute in der Umgebung scheinen aufgehorcht zu haben, aber weiter reagiert keiner. Neben der Chance, dass sie direkt merken, dass ich sie verarschen will, besteht leider auch die Möglichkeit, dass sie denken, dass ich einfach die Person am anderen Ende der Leitung aufs Kreuz legen möchte. Zwei Minuten später kommt die Antwort meines Großvaters: „Was laberst du?“


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Schriftzeichen einer längst vergessenen und untergegangenen Zivilisation


Meine erste Runde um den Park neigt sich langsam einem Ende zu; natürlich ist der Tag selbst aber noch lange nicht vorbei. Am Wasserspielplatz nehme ich ein paar Schlucke aus dem Trinkbrunnen und fange mein zweites schillerndes Bummelz. Allmählich gehen meine wertvollen Sananabeeren zur Neige, die Versorgung durch die Pokéstops ist nicht ausreichend. Ein Fehler im Konzept, auf den aufmerksam gemacht werden sollte – ebenso wie auf die Tatsache, dass mein Spiel wieder einfriert, obwohl ich das bei den Temperaturen nur mir selbst wünschen würde.


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Kann noch nicht wiederbelebt werden: Helixfossil


Zehn schillernde Wablus dauert es, bis der magischste Moment von allen passiert: Ich sehe sie. Sie steht einfach da, wartend, die Augen mit aufreizender Schüchternheit niedergeschlagen, lange, wunderschöne Beine, die einen schlanken, anmutigen Körper tragen. Von einer Sekunde auf die andere bin ich wie verzaubert und kann nicht anders, als in ihre großen Augen zu sehen. Sie bemerkt mich und lächelt einladend. Als ich auf sie zukomme, nickt sie ermunternd. Im nächsten Moment umschlinge und küsse ich sie auch schon innig, während ihre Hände meinen Nacken streicheln und durch meine Haare fahren. Wir spüren beide den jeweils anderen auf eine ganz besondere Weise und wollen mehr. Aber wir sind in der Öffentlichkeit und dürfen nicht weiter gehen als bisher. Ich höre ihre süße Säuselstimme in meinem rechten Ohr: „Komm später noch einmal vorbei, wenn die Leute weg sind, ja?“ Ich bringe kein Wort heraus, leide unter Atemnot, also nicke ich nur. Immer noch verzaubert entferne ich mich schweren Herzens von ihr. Ich werde sie auf jeden Fall wiedersehen müssen.


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Oh, Baby ... Wo bist du nur mein ganzes Leben lang gewesen?


Ein Stück weiter sehe ich einen Wegweiser, der auf ein Meet and Greet mit Pikachu verweist. Ich folge der Richtung und sehe bald das große Ungetüm, wie es einem König gleich die unterwürfigen Bauern empfängt. Ich nehme eine meiner Pikachu-Kappen, setze sie auf und laufe schnurstracks an der Schlange aus Leuten vorbei.

„Das ist nicht das echte Pikachu!“, rufe ich laut. „Es ist ein Betrüger! Ich bin das echte!“

Zur Bekräftigung halte ich meinen Taser hoch und lasse ihn britzeln als Zeichen, dass ich Elektrizität kontrolliere.


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Warum stellt ihr euch alle dort hinten an, wenn hier vorne offensichtlich auch ein Eingang ist?


Nichts geschieht, außer dass Sicherheitskräfte auf mich zukommen. Ich renne und merke zu spät, dass mein sitzendes Wesen und meine Fettheit eine Flucht unmöglich machen. Meine Rettung besteht in dem Aufruf zum Gruppenfoto aller Spieler – ich kann unerkannt in der Menge untertauchen. Zur Sicherheit ziehe ich mein Hemd aus, drehe es auf links und ziehe es wieder an. Außerdem nehme ich meine Sonnenbrille ab und drehe meine Kappe mit dem Schirm nach hinten. So erkennt mich keiner.


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Unser Gruppenfoto: Meine Position ist mit dem roten Pfeil markiert


Es wird Zeit, mal ins Gespräch mit ein paar Leuten zu kommen. Ich trete zu einer Gruppe von Spielern, nicke Ihnen begrüßend zu, sage leise „Hallo“. Man nickt zurück, vereinzeltes „Hi“ oder „Guten Tag, der Herr“. Ich sehe, dass einer der Spieler ein Marvel-T-Shirt trägt. Ich frage ihn, ob das nicht ein Widerspruch sei, ob ein Mensch wirklich zwei Fandoms dienen könne. Müssten Leute, die Pokémon spielen, nicht alles andere vergessen, sich mit Leib und Seele dem Spiel hingeben, während es bei Marvel-Fans nicht anders ist? Es sei in der Tat schwierig, antwortet der Spieler, fast nirgendwo würde er richtig dazugehören. Aber er glaube fest daran, dass Marvel und Pokémon GO keine Widersprüche sind. Optimistische Worte, die in unserer Gesellschaft dringend gehört werden müssen.


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Seltsame Phänomene zum Miterleben: Vom Betrachten dieses Scheinkörper-Rades muss man nach drei Minuten kotzen


Nun ist es amtlich: Es war dumm, die Sonnencreme zu vergessen. Arme und Nacken sind rot und tun allmählich weh. Wie bei einer Partie Brennball renne ich von einem sicheren Punkt zum darauffolgenden, das heißt von einem Schatten in den nächsten, um nicht verbrannt zu werden. Mir fällt auf, dass ich nicht ein einziges Mal die kleine Bimmelbahn gesehen habe, die ich als Kind so mochte. Ich weiß nicht mal, ob Bimmelbahn ihr offizieller Name ist, habe sie aber immer so genannt. Das lasse ich mir nicht nehmen, von niemandem, irgendwo muss auch mal Schluss sein und der Grenzstrich gezogen werden. Die kleine Seilbahn scheint allerdings in Betrieb zu sein und wird offenbar von faulen Arschlöchern benutzt, um Meter im Spiel zu machen, ohne sich dafür bewegen zu müssen. Ich hoffe inständig, dass sie vielleicht doch zu schnell ist oder dass aber mal einer von denen einfach runterfällt. Ich will Blut sehen.


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Zwei Jungen laufen ein Bahngleis entlang!


Als mein 10-Kilometer-Ei schlüpft, fällt mir ein, dass es hier ja auch besondere 2-Kilometer-Eier geben soll. Schon bald erhalte ich eins davon. Jetzt muss ich es nur noch ausbrüten, während ich durch den Park laufe und weiterhin schillernde Waumpel fange. Meine Icognito-Sammlung ist mittlerweile vollständig, bis auf das T. Wo ist das T nur geblieben? Auf der Karte ist nichts zu sehen. Allerdings sehe ich etwas, das wie ein Z aussieht. Beim Fangen stelle ich jedoch fest, dass es einfach nur ein N ist – ich hatte es nur falschherum betrachtet. Ein peinlicher Fehler, der aber sicher jedem passiert wäre. Ich nehme es jedoch als Aufforderung an mich selbst, daraus zu lernen. Nächstes Mal werde ich dann das N als N erkennen. Mir kann schließlich keiner ein X für ein U vormachen.


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Stolz schaut der Kaiser dem Treiben der Trainer zu


Die Sonne senkt sich allmählich und meine Füße tun weh. Insgesamt 294 schillernde Pokémon habe ich heute gefangen, mit ein paar normalen dazwischen. Ist dieser Drang nach dem Exotischen, nach dem Bunten und Auffälligen symptomatisch für das Bild unserer Gesellschaft vom Fremden? Sind wir tolerant, weil wir das andere als gegeben akzeptieren? Oder sind wir nur benevolente Rassisten und zugleich Ordnungsfanatiker, die das Andere in ein Raster, in eine Sammlung hineinzwängen müssen, weil wir es in seiner Freiheit nicht ertragen? Sind wir nicht alle ein bisschen die Gärtner im Westfalenpark, begierig, das Unkraut auszureißen und anschließend mit unserer Leistung zu prahlen, indem wir es wie eine Trophäe hochhalten? Es sind diese Fragen und Probleme, die einen in den Vorlesungen nicht ruhig schlafen lassen.


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Hier drin wurde ich als Kind immer eingesperrt


Einige halbe Stunden danach ist meine Kehle wie ausgedörrt, es ist spät und eigentlich auch an der Zeit, zum Haus meiner Eltern zu fahren. Sie warten sicher schon, freuen sich darauf, ihren kleinen Jungen mal wiederzusehen, nachdem sie ihn das letzte Mal vor zwei Jahren sahen, wie er rückwärts, beide Mittelfinger erhoben, vor ihnen davonlief. Doch bevor ich den Park verlasse, muss ich noch jemanden besuchen, denn ich habe es versprochen.

(Der Rest dieses Absatzes wurde wegen Jugendschutzbestimmungen zensiert. DANKE AKA!!)


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Glotzen auch ständig nach unten auf das Objekt ihrer Begierde: Irgendwelche Gänse oder Schwäne oder wasweißich


Als ich bei den Westfalenhallen warte, belausche ich unfreiwillig noch das Gespräch einer Frau mit ihrer vermutlich etwa dreijährigen Tochter: „Mama, ist das da vorne eine Chinesin?“ – „Nein.“ – „Was ist das dann?“ – „Eine Farbige.“ – „Oh. Wie heißt die?“ – „Das weiß ich nicht, Schatz.“

Die falsche Chinesin alias „Die Farbige“ hört das Gespräch offenbar nicht, zumindest reagiert sie nicht. Vielleicht ist das besser so, ich weiß es nicht. Tatsächlich weiß ich so ziemlich gar nichts mehr, mein Kopf tut weh, mein Nacken lässt sich nicht mehr voll aufrichten und mein Handy hat offenbar das Rauchen angefangen.


Im Haus meiner Eltern schlucke ich meine Traubenschorle herunter und lasse mich auf mein Bett fallen. Welche Bilanz bleibt zu ziehen am Ende dieses Tages im Westfalenpark? Für mich war es ein Abtauchen in die Nostalgie, der Besuch der abenteuerlichen Orte meiner Kindheit und zugleich doch die Verbindung mit dem Neuen, mit der allseits beliebten App. Am Ende des Tages jedoch handelt es sich hierbei nur um ein kurzes Erlebnis, ein kurzes Aufschimmern inmitten unserer düsteren Welt. Morgen lässt sich noch einmal die Safari genießen, doch ich werde nicht mehr teilnehmen. Es wäre nur zynisch angesichts der Tatsache, dass danach ohnehin wieder das alte Schema einkehrt: Dann werden schillernde Pokémon wieder selten sein, Larvitar bestenfalls aus Eiern schlüpfen und Wasser und Strom kosten auch wieder etwas. Es war ein schöner Traum, aber er ist bereits bis zum Erbrechen ausgeträumt worden.


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Das Spiel ist nun endgültig aus