Edinburgh Fringe Festival 2018
#intotheunknown
Tag Eins: Montag
Also los! Der erste wirkliche Tag auf dem Fringe. Doch wo sollten wir anfangen? Zwar hatten wir bereits ein paar Titel auf der Empfehlungsliste, doch fanden diese entweder erst später am Tag statt oder waren für den heutigen Tag bereits ausverkauft (so geschehen bei Freeman, weshalb wir uns direkt Tickets für Dienstag besorgten). Eine der Hauptmethoden, um auf dem Fringe Zuschauer zu locken, ist die Mund zu Mund Propaganda und auf genau die, wollten auch wir uns verlassen. Wir begaben uns daher an einen der Hotspots am Bistro Place. Das Bild, das sich einem hier bietet ist ein wenig eine Mischung aus Volksfest und dem Inneren eines Einkaufszentrums an einem Samstagnachmittag. Ersteres, weil wirklich überall Fressbuden und Sitzgelegenheiten stehen, letzteres, weil in den verbliebenen Zwischenräumen dutzende Menschen mit Flyern stehen und dir von ihren Shows erzählen wollen. Was erstmal wie der Alptraum eines jeden Fußgängers klingt ist hier auf dem Fringe absolut harmlos und von den Besuchern gern gesehen. Wie bereits erwähnt ist bei der Fülle an angebotenen Shows schwer, überhaupt einen Überblick zu finden. Da freut man sich, wenn man auf der Straße einfach mal angesprochen und auf sehenswerte Stücke hingewiesen wird, beziehungsweise einfach ein paar Anregungen in handlicher Flyerform erhält. Nicht selten trifft man dabei auf die Künstler selbst, die hier ihre eigene Show promoten, denn das ist günstiger, als bezahlte Flyerverteiler loszuschicken. In unserem Fall war es aber solch eine bezahlte Promoterin, die uns Sparks empfahl. Es waren noch etwa fünfzehn Minuten bis Einlassbeginn und die Venue nur einen Katzensprung entfernt – am gleiche Ort, an dem wir am Abend zuvor auf J. getroffen waren.
Eintrittskarten erhält man auf dem Fringe am Box Office. Fast jede Venue hat solch einen Ticketschalter, mal ist es eine kleine Hütte oder eben ein extra Raum innerhalb des Gebäudes (und Hütten innerhalb eines Gebäudes gibt es tatsächlich auch). Hier kann man einerseits, per Kreditkarte online gekaufte Eintrittskarten abholen oder ganz klassisch mit Papiergeld Papiertickets erstehen. Lange anstehen muss man hierfür selten, denn die großen Venues haben oftmals mehrere Schalter zeitgleich besetzt und obwohl es dort dann zu einer schieren Massenabfertigung ausartet, wirken die netten Verkäufer niemals unfreundlich und erklären dir auch nochmal den genauen Weg zum Veranstaltungsraum.
Während es bei einem klassischen Theaterabend durchaus üblich ist, einige Zeit vor Einlass bereits vor Ort zu sein, verhält sich das auf dem Fringe etwas anders. Wer hier eine halbe Stunde vor Einlass bereits Schlange steht, vergeudet meist seine Zeit und wird gerne auch mal schief angeschaut. So war es durchaus passend, dass wir aus dem Box Office raus, direkt in den „Pleasance Beneath“ genannten Saal huschen konnten. Saal sollte man hier in Anführungszeichen setzen, denn wie die meisten Veranstaltungsräume beim Fringe war auch dieser hier recht klein. Häufig besteht der Publikumsbereich lediglich aus einem eckigen Stuhlkreis mit drei bis fünf Reihen und wer in der ersten Reihe sitzt, kann die Darsteller berühren, wenn er nur die Hand ausstreckt (im Grunde vergleichbar mit dem Klassenraum in dem ihr damals euer kleines DIN A2 Plakat hochgehalten und über Norwegen geredet habt).
Sparks beginnt mit einem kurzen Statement der beiden Darstellerinnen: Sie beide verkörpern die gleiche Person. Die eine – gekleidet in einem schicken Abendkleid und mit hübsch gemachten Haaren – steht am E-Piano und begleitet immer wieder mit musikalischen Einlagen, wird aber auch selbst schauspielern, die andere – in Jogginghose und Gammelpulli, gekrönt von einer Assipalme – wird die meiste Zeit als Schauspielerin auftreten, doch auch Sie tritt für einen kurzen Moment an das Piano, um ihre Kollegin zu vertreten.
„ Fall in love in my early 20s, get married in my late 20s, have at least one child by the time I'm 30. F*ck! “
Wir folgen der namenlosen Hauptfigur durch eine Sinnkrise. Wie schön hatte sie sich ihr Leben ausgemalt, mindestens so aufregend und perfekt, wie das ihrer Mutter sollte es werden. Doch das Leben will nicht so, wie sie will. Der Traummann lässt auf sich warten und etliche Dates mit verschiedensten Menschen später, scheint er noch immer keinen Deut näher zu sein. Da lernt sie ihren „Mister X“ kennen. Er scheint in allem perfekt zu sein, die Schmetterlinge im Bauch kommen so richtig in Fahrt, doch er hat ein Geheimnis, das dem Glück im Wege steht. Die Handlung kommt dabei in einer Mischung aus Erzählung und Schauspiel daher. Sie wird immer wieder unterbrochen von Handlungssprüngen zur mittlerweile pflegebedürftigen Mutter. Kaum noch in der Lage, sich zu artikulieren, sitzt sie nach einem schweren Autounfall in einem Pflegeheim. Schnell fühlt man bei dieser Darbietung einen dicken Kloß im Hals. Denn obwohl das gesamte Stück mit gerade mal zwei Requisiten (ein Smartphone und ein Beutel mit Konfetti) auskommt und das Bühnenbild nur aus ein paar Neonröhren besteht, die aneinander gelehnt eine Art Zelt ergeben, sind die Emotionen im Raum geradezu greifbar.
Ein gelungener Auftakt zum Fringe.
Auf dem Weg nach draußen, treffen wir nochmal kurz auf J., doch mehr als ein kurzer Smalltalk ist nicht drin, da sind wir auch schon wieder auf dem Weg in die Stadt. Unterwegs werden wir auf das Pilgrim aufmerksam gemacht. Eine Venue, die „Free Fringe“ teilnimmt. Alle hier stattfindenden Shows (in diesem Fall waren es ausschließlich Comedians) funktionieren nach dem „pay what you want“-Prinzip. Leider weiß ich nicht mehr, wie der Künstler hieß, der hier sein Programm zum Besten gab und online sind die hier stattfindenden Shows leider nicht verzeichnet. Nichtdestotrotz war es eine nette Aufheiterung nach dem recht dunklen Stück zuvor. Bemerkenswert war hier aber vor allem die Venue an sich: Ein dunkles Kellergewölbe mit tiefer Decke, bei dem es erst um zig Ecken geht, bis man im Inneren einen Tresen mit Bar findet und dahinter dann den eigentlichen Veranstaltungsraum. Sehr urig das ganze und man fragt sich, WESHALB ZUM DONNER DA EINE METALLENE BADEWANNE IN DER ECKE STEHT.
Wieder zurück am Bistro Square wird sich erstmal etwas Nahrung einverleibt (überhaupt war Essen und Trinken eine unserer Hauptbeschäftigungen zwischen den Veranstaltungen). Während wir überlegen, wo es als nächstes hingehen soll, spricht uns Miguel Hernando Torres Umba (selbstverständlich habe ich seinen vollen Namen online nachschlagen müssen) auf der Straße an und fragt uns, was wir über Kolumbien wissen.
„Nicht viel“ ist die ernüchternde Antwort, doch den meisten ist Kolumbien vor allem als Haupthersteller von Kokain bekannt. Die Geschichte seines Landes und die des weißen Pulvers beleuchtet Miguel in seiner Aufführung Stardust, die direkt hinter uns im Pleasance Dome stattfinden wird. Flyer und Darsteller versprechen interessantes und schnell ist die Wahl für unser nächstes Stück gefallen. Außerdem besorgten wir uns Karten für The Journey, welches laut Beschreibung von einem zerstrittenen Paar erzählt, gefangen auf einem Raumschiff mitten im Weltall. Koks, Zoff und Sci-Fi sollte also unser Nachmittagsprogramm werden. Ich mag Edinburgh. :^)
Zuvor wir nehmen uns aber noch vor, hoch auf die Burg zu gehen. Wer Edinburgh Castle von unten sieht, fühlt sich schnell an das Quidditch Feld auf Harry Potter erinnert, das war uns schon vor fünf Jahren, beim ersten Besucht in Edinburgh aufgefallen. Auf dem Weg dorthin laufen wir wieder über die Royal Mile, die wieder voll von Touristen, Straßenkünstlern und „Flyermenschen“ ist.
Edinburgh Castle ist ein ziemlich imposantes Gebäude und von vielen Orten in der Stadt zu sehen. Leider mussten wir feststellen, dass ein Großteil der Burg nur gegen 18 £ Eintritt zu besichtigen ist. Eine Summe die uns – angesichts der wenigen Zeit, die uns bis zum Beginn von Stardust verbleiben würden – nicht zahlen wollten. Also gibt es nur ein paar Fotos von der Aussichtsplattform und die Burg wird sich aufgespart für einen Besuch in der Stadt, fernab des Festivals.
Gänzlich spendenfinanziert ist hingegen die St. Giles Cathedral, der wir auf dem Rückweg einen Besuch abstatteten.
Eine durchaus schöne Kirche, in der Fotografie leider verboten war. Etwas aus dem Konzept fallen hier allerdings der Postkartenshop in einem Seitenschiff und das Café im Keller. Muss nicht jedem gefallen.
Nun aber zurück zum Pleasance Dome am Bistro Square:
Stardust beginnt mit einer „lustigen“ Challenge für Miguel. Bevor er über Kokain reden darf, soll er doch bitte selbst mal eine Kostprobe vor versammelten Publikum nehmen. Während er diese Aufgabe vor sich hinschiebt und immer wieder kurz vor Vollstreckung abbricht, beginnt das eigentliche Stück. Dieses kommt als eine Mischung aus Vortrag, Schauspiel, Einbindung des Publikums und künstlerisch, tänzerischen Einlagen daher. Spannend erzählt, zeigt er wie aus der einst vonn Einheimischen geschätzten Coca-Pflanze ein gefeiertes Arzneimittel wurde und dann die heute bekannte, gefährliche Droge. Eine wirklich großartige Inszenierung, der einzige Minuspunkt geht auf die Raumtemperatur zurück: Es war wirklich warm und stickig in dem Saal.
The Journey fand dazu auch noch im gleichen Raum, wie Stardust statt und dazwischen lagen gerade mal 20 Minuten. Also besorgten wir uns beim Kiosk nebenan schnell etwas zu Trinken und schon ging es wieder hinein. Dieses Mal saßen wir aber in der ersten Reihe direkt neben… EINER MOBILEN KLIMAANLAGE! ♥
Los ging es dann erstmal mit einer Ankündigung des Darstellers: Das folgende Stück sei ursprünglich für drei Personen konzipiert gewesen, doch aufgrund eines Streits innerhalb der Truppe sei man jetzt nur noch zu zweit. Es folgen deutliche Worte an den fehlenden Darsteller und die Bitte um Nachsicht, falls in der nun umgeschriebenen Fassung zu Holprigkeiten kommt.
Was wir dann sehen, ist auch erstmal so ziemlich das, was in der Beschreibung stand. Er hat eine Reise auf einem Raumschiff gewonnen und darf eine Person mitnehmen. Er wählt seine neue Freundin, doch der enge Raum tut dem jungen Paar nicht wirklich gut und es kommt schnell zum Streit. Während man das etwas ermüdende Auf und Ab zwischen den beiden verfolgt passiert plötzlich etwas Seltsames: Auf einmal sind es nicht mehr die Figuren, die sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf werfen, sondern die Darsteller selbst: Das Stück sei scheiße, der Autor ein Egoist und all das sei der Grund, weshalb man nun nur noch zweit performen würde. Noch glaubwürdiger wirkt das durch scheinbare Texthänger, die diesen Ausbrüchen vorausgehen und so ist man sich irgendwann wirklich unsicher, ob die Schauspielerin nicht gerade wirklich wütend von der Bühne gestürmt ist (Ist das Kunst oder ist sie weg?).
Auflösung bringt dann erst die Verbeugung der beiden am Ende, ein dritter Darsteller hat – ihr denkt es euch sicher schon – nie existiert.
Eine überraschende Wendung, die sehr gut gefallen hat.
Später am Tag spricht uns einer der Darsteller aus der Dreamgun Gruppe an. Jeden Abend zeigen sie einen anderen bekannten Film. Das Drehbuch wird allerdings stark verändert und ins Lächerliche gezogen, hinzukommt, dass die Darsteller ihren Text erst 20 Minuten vor Beginn erhalten. Heute Abend war Titanic an der Reihe und da wir uns nichts lustigeres als ein versinkendes Schiff und ertrinkende Menschen vorstellen konnten, holten wir uns kurzerhand zwei Tickets.
Obwohl ich Titanic tatsächlich noch nie in voller Länge gesehen habe, war diese Inszenierung hier wirklich großartig. Die einzelnen Darsteller saßen zusammengequetscht in einer Reihe, jeder ein Drehbuch und ein Erzähler verlas die Story. Wer an der Reihe war, stand auf und sprach – mal allein, ml im Wechsel mit anderen – in ein einzelnes Mikrofon am vorderen Bühnenrand. Lebendig wurde das Stück durch verstellte Stimmen, albernen Gesten und Schauspielern, die vor lauter Lachen, keinen Text mehr vorlesen konnten. Musikalisch wurde das ganze untermalt durch My Heart Will Go On …schlecht gespielt auf einer verstimmten, billigen Blockflöte. Schön. Schön, schön.
Den Rest des Abends ließen wir uns dann spontan im Frankenstein nieder. Im „deutschen Bierkeller“ hier, performte eine Auswahl an amerikanischen, kanadischen und deutschen Stand Up Künstlern. Wieder nach dem Prinzip, pay what you want, gab es hier verhältnismäßig leichte Kost – nach einem langen und erfolgreichen, wenn auch anstrengenden Tag auf dem Fringe, genau das richtige.
Unsere Route am ersten Tag: Kreuz und quer durch diese schöne Stadt