Thrawnis Wiener Notizen, Tag 134

Letztens noch in der Ausstellung „Das Rote Wien“ gewesen. Wie ich dort gelernt habe, war die Vision, das Volk über Bildung zu demokratisieren und ihm so Werte wie Freiheit und Gleichheit näherzubringen. Wenn man das vielleicht mal auf die heutige Zeit in Deutschland überträgt und mal nachguckt, in wessen Hand das Bildungsministerium in den letzten Jahren lag, dann kann man nicht anders als schwarz zu sehen.


Wenn man es recht bedenkt, sind die ganzen Touristenführer für Wien eine hervorragende Liste der Orte, an die man auf keinen Fall gehen sollte, weil sie dank besagter Touristenführer von zigtausend Menschen überlaufen sind.


Man stelle sich mal vor, dass man von jemandem in eine finstere Grube geschubst wird, aus der hinauszuklettern ohne fremde Hilfe fast unmöglich ist. Man denke sich weiter, dass die Person, die einen hineingeschubst hat, einem jedes Mal die helfende Hand reicht, sie aber dann doch wieder zurückzieht oder aber absichtlich vorher in einem Eimer Schmierseife getunkt hat, sodass man immer wieder in die Grube zurückstürzt. Anschließend lacht die Person einen auch noch aus, es ist ein hämisches, absolut freud- und mitleidloses Lachen.

Das, meine lieben Leser, ist die akkurateste Beschreibung des Faches Philosophie, zu der ich fähig bin.


Apropos freudlos: Als ich letztens an einer Sportkneipe vorbeikam, sagte der Lauftext der Neon-Leuchtreklame „Heute Abend: Schalke gegen Borusia“ (sic!). Gemäß der Lehre des berühmtesten Wiener Psychoanalytikers gehe ich davon aus, dass dieser Fehler ein Ausdruck einer immer noch vorherrschenden unbewussten Abneigung der Österreicher gegenüber Preußen ist, was – wie jeder weiß – auf Lateinisch „Borussia“ bedeutet.


Manchmal hört man ja, die westliche Kultur sei inhärent demokratisch und freiheitlich. Dem kann man nur entgegenhalten, dass neben Demokratie auch (absolute) Monarchie, Diktatur und Faschismus legitime Bewohner im Haus des Westens sind, oder vielmehr zugelassene Produkte im Kaufhaus des Westens, denn der Kapitalismus durchdringt sowieso alles.


Durch das Gedicht „Die Universität“ von Ludwig August Frankl ein neues Wort gelernt: „Dithyrambisch“. Mir fehlt nur noch eine Gelegenheit, es auch mal zu verwenden.


Kürzlich verfasste Werke: Eine deprimierend langweilige Geschichte namens Der Gang zur Arbeit und ein keineswegs dithyrambisches Gedicht namens Die Pipeline, in dem ich allen Ernstes behaupte, dass Leute, die Let’s Plays gucken, zu Nazis werden. Bitte möglichst wütend kommentieren!

Er ist ein Junge, ganz normal,

Und ist’s im Grunde nicht egal,

Wenn er in Let’s Plays sich verliert

Und hin und wieder kommentiert?


Er schaut ja nichts, was schädlich ist,

Bezeichnet’s mancher auch als Mist,

So bringt es ihm doch Fröhlichkeit

Und ist von Politik befreit.


Und wenn sein Held auch mal was sagt,

Worüber mancher sich beklagt,

So ist er doch kein Menschenfeind –

Es war ja gar nicht so gemeint.


Und wenn’s an einem Tag geschieht

Dass man den Videovorschlag sieht

Mit seinem Held in einer Show

Dann klickt man doch, sofort, right now!


Der Host der Show, so radikal!

So unkorrekt von Mal zu Mal!

Zwar scheint er manchmal selbstverliebt,

Doch scheint’s auch, dass er Sinn ergibt.


„Vielleicht“, so denkt der Junge sich,

„Vielleicht ist das ja was für mich?

Vielleicht schau ich von dem noch mehr,

Mein Tag ist schließlich noch so leer.“


An dieser Stelle ist’s zu spät –

Die erste Saat, sie ist gesät.

Der Sog des Mahlstroms zieht und zerrt

Und sinnlos ist’s, dass er sich wehrt.


Schon bald, da hört er diesen Satz:

„Man klaut dir deinen Arbeitsplatz!“

Und bald schon glaubt er’s, wenn er hört,

Dass Feminismus Games zerstört.


Und ohne dass er es bemerkt,

Wird er in all dem Hass bestärkt,

Bis er dabei sich selbst verliert

Und nur noch munter mitmarschiert.


Bald schon nur dem Hass ergeben,

Ließ er sich ins Netz verweben.

Ein Weg zurück, den gibt’s nicht mehr,

Dem Sturz folgt keine Wiederkehr.


Ein Junge, der nur Let’s Plays sah,

Der gar nicht merkte, was geschah –

Er bleibt für alle Zeiten weg,

Versunken in dem rechten Dreck.







Vielleicht an einem schönen Tag,

Da kommt es, dass er denken mag:

„Ist das hier wirklich Lebensglück?

Will ich nicht lieber doch zurück?“


„Was soll denn nur der ganze Hass?

Will ich nichts anderes als das?“

Und wenn er so zu denken lernt,

Sich doch einmal vom Hass entfernt –



Ob du das schaffst, ich weiß es nicht,

Doch suchst du mal das Sonnenlicht,

Dann glaub mir, du bist nicht allein,

Zumindest musst du es nicht sein.


Glaub nicht, dass man dir nie verzeiht,

Wenn du zum Wandel bist bereit.

Schau nur nach links – dort stehen wir

Und wenn du fragst, dann hilft man dir.

An einem schönen Sommertag, an dem die Spatzen von den rot bedeckten Dächern der Häuser zwitscherten und eine sanfte Brise die grünen Blätter der Bäume im Wind wiegen ließ, trat ein Junge in das graue, kastenförmige Gebäude ein und fand sich wieder in einer kahlen Eingangshalle mit grauem glatten Granitboden und weißen Wänden. Die Fenster in den Wänden neben der Tür machten den Eindruck, als hätte man ihnen Scheiben eingesetzt, die zwar genug Licht durchließen, um in dem Gebäude sehen zu können, aber dem Licht dabei gleichzeitig seine Wärme zu entziehen. Dem Jungen lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Seine Schritte hallten durch den großen Raum, als er auf die einzige Tür zuging, sie durchschritt und auf den dahinterliegenden Gang trat. Boden und Wände waren hier von der gleichen Art wie in der Eingangshalle, auch wenn der Gang viel schmaler war und links und rechts Türen von ihm abgingen. Insgesamt wirkte es, als sei der Gang einfach ein verlängerter Arm der Eingangshalle oder wie ein Auswuchs eines viel größeren Hauptkörpers oder aber eine Leitung, die von einem großen Wasserreservoir abging.

Etwas weiter vorne knickte der Gang ab und ging um eine Ecke. Unmittelbar vor der Ecke stand ein Mann in grauem Arbeitsanzug vor einem Putzwagen, auf dem sich allerlei Reinigungsmittel in weißen, wiederbefüllbaren Plastikflaschen befanden. Der Mann wischte mit einem Mopp über den Boden, immer über die gleiche Stelle, ohne jemals fertig zu werden.

Der Junge lief den Gang hinunter – er hatte den Gebäudeplan auswendig gelernt und wusste, dass er einfach nur dem Gang zu folgen brauchte, bis er das Büro an seinem Ende erreichte. An der Ecke, wo der Gang abknickte, nickte er dem Putzmann kurz begrüßend zu, der die Geste erwiderte, ohne sich aber von seiner Arbeit abhalten zu lassen.

Kaum dass der Junge um die Ecke gegangen war, hielt er vor Überraschung inne, denn er stand wieder am Anfang des Gangs. Zuerst dachte er, dass er sich dies nur einbildete, denn natürlich würde jeder Abschnitt des Gangs genau gleich aussehen, aber unverkennbar war der Putzmann in der Ferne der gleiche wie vorhin, und als der Junge sich umdrehen und zurück um die Ecke spähen wollte, war diese verschwunden und statt ihrer sah er nur die Tür, durch die er von der Eingangshalle hereingekommen war. Er öffnete die Tür probehalber und sah wieder den von kaltem Sonnenlicht durchfluteten Raum.

Verwirrt kratzte der Junge sich am Kopf und fragte sich, ob er vielleicht letzte Nacht nicht genug geschlafen hatte und deswegen ein bisschen durch den Wind war oder aber ob er im Gegenteil zu lange geschlafen hatte, das heißt, immer noch schlief und das alles nur träumte. Er kniff sich probehalber in den Arm, doch nichts geschah.

Etwas langsamer als vorhin ging er wieder den Gang hinunter und blieb bei dem Putzmann kurz stehen. Wenn er wirklich schon hier vorbeigekommen war, dann müsste der Mann sich doch an ihn erinnern.

„Hallo“, sagte der Junge.

„Hallo“, antwortete der Mann und fuhr mit dem Wischen fort. Immer wieder glitt sein Mopp über die exakt gleiche Stelle, von links nach rechts in geschwungenen Bewegungen.

Der Junge schüttelte den Kopf und ging weiter. Doch kaum dass er um die Ecke gebogen war, erkannte er schon wieder den Putzmann am Ende des Ganges. Er wollte zurück stürzen, doch er knallte nur mit dem Kopf gegen die Tür zur Eingangshalle, die wie aus dem Nichts wieder hinter ihm aufgetaucht war. Der Krach ließ den Putzmann am Ende des Ganges innehalten, den Kopf herumdrehen und rufen: „Alles in Ordnung?“

„Jaja“, erwiderte der Junge und hielt sich die schmerzende Stirn. „Es ist alles in Ordnung!“ Der Putzmann musterte ihn kurz, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.

Für einen Moment lehnte der Junge sich an die Wand, dann ging er zu der nächsten Tür, die vom Gang abging, und versuchte sie zu öffnen. Sie war verschlossen. Er ging zur nächsten, drückte die Klinke herunter, doch auch diese Tür ging nicht auf. Als er zur nächsten Tür ging, hörte er wieder die Stimme des Putzmannes: „Die Türen sind alle zu!“

Der Junge ignorierte den Ruf und klopfte an die Tür. „Hallo?“, rief er. „Ist jemand da?“

Es kam keine Antwort. Der Junge klopfte lauter und rief noch ein paar Mal, doch nach wie vor gab es keine Reaktion – niemand schloss die Tür von innen auf und fragte, wer denn da so penetrant an die Tür hämmerte.

„Könnten sie bitte etwas leiser sein?“, fragte der Putzmann. „Es ist ein wenig störend.“

Der Junge ging zu dem Putzmann und fragte: „Ist denn heute niemand da?“

Der Putzmann hielt in seinen Wischbewegungen inne. „Natürlich ist jemand da“, gab er zurück. „Jedes dieser Büros ist besetzt.“

„Aber warum macht dann niemand auf?“

„Das weiß ich nicht. Ich habe nie jemanden aus den Büros danach fragen können. Ich habe schließlich auch noch nie jemanden gesehen, der in einem der Büros arbeitet.“

„Aber woher wissen sie dann, dass da jemand drin ist?“, fragte der Junge.

„Die Büros können nur von innen verriegelt werden“, antwortete der Putzmann. „Es muss also jemand drin sein, wenn sie verriegelt sind, denn diese Türen sind der einzige Ein- und Ausgang zu den Büros.“

Der Junge starrte den Putzmann an, der seinen Blick erwiderte.

„Vielleicht sollten Sie besser gehen“, sagte der Putzmann. „Sie sehen nicht gut aus.“

„Ich kann nicht. Ich bin doch gerade erst gekommen.“

„Wie Sie meinen.“ Der Putzmann zuckte mit den Achseln und fing wieder an, den Boden zu wischen, immer noch über die gleiche Stelle.

Der Junge atmete einmal tief durch, dann ging er wieder zu der Stelle, wo der Gang einen Knick machte. Er drückte sich an die Wand und spähte vorsichtig um die Ecke. Wieder stand er am Anfang des Ganges, und als er die Wand fühlte, an die er sich gedrückt hatte, da war es, als hätte sie einen Ruck getan und sich mit ihm gedreht, sodass sie nun wieder mit den geraden Wänden des Ganges abschloss. Die Ecke war verschwunden, und hinter ihm war nur die Tür, die zurück zur Eingangshalle führte. Der Junge blinzelte mehrmals, kniff sich dreimal und rammte schließlich seinen Kopf gegen die Wand. Ich muss wahnsinnig sein, dachte er mit schmerzendem Kopf, oder noch schlafen und träumen. Es kann gar nicht anders sein.

Und als würde er tatsächlich noch schlafen, schlich er wieder den Gang hinunter, kaum seine Umgebung wahrnehmend, die ja doch immer gleich aussah. Beim Putzmann angekommen blieb er stehen.

„Hallo“, sagte der Junge.

„Hallo“, antwortete der Putzmann.

„Ich war schon einmal hier.“

„Ich weiß. Bin ja nicht blind.“

„Ich glaube, ich habe mich verlaufen.“

„Hier kann man sich nicht verlaufen. Es gibt nur zwei Wege, den nach vorne und den zurück.“

„Aber ich komme nirgendwohin, wenn ich nach vorne laufe.“

„Dann sollten Sie vielleicht zurückgehen.“

„Aber das geht nicht. Ich muss heute ins Büro. Ich fange heute hier an.“

„Der erste Tag ist immer schwierig“, erwiderte der Putzmann. „Aber irgendwann geht es nach vorne.“

„Wenn ich also immer weiterlaufe, komme ich schließlich bei meinem Büro an?“

„Ja.“

„Danke“, sagte der Junge und ging weiter. Er durchquerte den Gang mehrmals, fest entschlossen, irgendwann an seinem Ziel anzukommen. Meistens beachtete er den Putzmann gar nicht mehr, sondern rannte einfach an ihm vorbei.

Schließlich jedoch hielt der Putzmann den Jungen zurück, als er wieder an ihm vorbeischießen wollte.

„Sie sollten vielleicht wirklich besser gehen“, sagte er.

„Aber ich bin schon so weit gekommen“, erwiderte der Junge eifrig. „Bestimmt hundertmal bin ich diesen Gang schon entlanggelaufen.“

„Warum wollen Sie so dringend ins Büro?“

„Weil ich muss.“

„Wenn Sie es müssten, dann wären Sie schon längst da“, sagte der Putzmann. „Sind Sie sich absolut sicher, dass Sie ins Büro müssen?“

„Absolut.“

Der Putzmann schüttelte den Kopf. „Wenn es nach vorne geht, geht es nicht mehr zurück.“

„Wie meinen Sie das?“

„Es gibt kein Zurück, wenn sie weitergehen.“

„Sie meinen, der Ausgang ist dann weg?“

„Von einem Ausgang weiß ich nichts“, sagte der Putzmann. „Es gibt nur einen Eingang.“

„Und durch den Eingang kann man aber wieder hinaus?“

„Ja. Aber er ist eigentlich nicht dazu gedacht. Wenn der Eingang noch da ist, dann ist man noch gar nicht eingetreten.“

„Aber ich bin hier drin“, beharrte der Junge. „Ich habe den Eingang durchschritten.“

„Wenn Sie das sagen“, erwiderte der Putzmann. „Ich sage nur, dass Sie vielleicht gehen sollten.“

„Ich werde gehen“, sagte der Junge, „aber nur weiter. Es gibt kein Zurück.“

„Wenn Sie das sagen“, sagte der Putzmann noch einmal. „Es liegt bei ihnen.“

Der Junge wurde ungeduldig. „Ich werde jetzt gehen“, sagte er nachdrücklich. „Zu meinem Büro.“

Der Putzmann zuckte die Achseln und wischte weiter über den Boden, nach wie vor über die gleiche Stelle, immer mit den gleichen geschwungenen Bewegungen von links nach rechts.

Der Junge bog um die Ecke und war einen Moment überrascht, denn der Putzmann war nicht mehr da. Stattdessen endete der Gang an einer Tür, die genauso aussah wie all die anderen Türen, die links und rechts vom Gang abgingen. Der Junge warf einen Blick zurück um die Ecke, doch die Tür zur Eingangshalle war verschwunden. Stattdessen sah er dort nur die gleiche Tür am Ende des Ganges wie die von vorhin. Es gab kein Zurück, und die Richtung, in die er ab hier ging, hatte keinerlei Bedeutung.

Der Junge ging zu seinem Büro, durchschritt die nur leicht angelehnte Tür, betrat das kleine, fensterlose Zimmer mit dem Schreibtisch und schloss sich darin ein.


Damit verbunden: Es wird ja von Zeit zu Zeit darüber debattiert, ob man denn nun Autor und Werk trennen solle, wobei ich selbst grundsätzlich dafür bin – man denke sich nur, was der Welt erspart geblieben wäre, hätte man J. K. Rowling nach dem siebten Band nie auch nur mehr in die Nähe von Harry Potter gelassen.

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