Vom Strohmann des Neides

Anmerkung vorweg: Ich verwende in diesem Artikel den Begriff "dick" sowie das Wort "fett" in der Kontruktion "fettfeindlich". Außerdem verwende ich die nicht wertneutrale und oft abwertend gebrauchte Konstruktion "Übergewicht" (zur Kennzeichnung der problematischen Konnotationen in Anführungszeichen gesetzt). Außerdem rede ich über diskriminierende Klischees mit Bezug zu Hochgewicht. Sollte dies für euch problematisch sein, dann lest den Artikel bitte mit der notwendigen Vorsicht. Über Anmerkungen, wie ich das ggf. besser ausdrücken kann, bin ich immer dankbar - diskriminierungsfreie Sprache in Hinblick auf dieses Thema ist für mich noch recht neu.


Letztlich gab es mal wieder in den Allgemeinen Diskussionen eine Debatte über Gewicht bzw. "Übergewicht", und es ist mal wieder eine Debatte, in der die fettfeindlichen Kommentare entlarvend sind, indes sie natürlich von denjenigen, die sie äußerten, nie als solche wahrgenommen würden. Der Grund dafür liegt darin, dass besagte Personen für sich ein Framing adaptiert haben, das ihnen in mehrerlei Hinsicht dienlich ist: Es handelt sich um den Strohmann, dass dicke Menschen nur neidisch auf die schlankeren Körper seien.


Ein bequemeres Framing kann mensch sich nicht vorstellen: Einerseits wird dem Unmut, den dickere Menschen über die Diskriminierung äußern, die sie tagtäglich erfahren (eine Diskussionsteilnehmerin war so nett, die Klischees von Undiszipliniertheit und Verfressenheit mit einem Comic zu illustrieren), die negativ konnotierte Emotion des Neids zugrunde gelegt, und wir alle wissen, dass Ansichten, die auf Emotionen im Allgemeinen und auf Neid insbesondere basieren, nicht zu beachten sind. Zugleich aber, und das ist das wirklich Schöne, mögen sich Personen mit schlankeren Körpern über besagten „Neid“ zwar aufregen, aber zugleich dürfen sie sich ja auch dadurch bestätigt fühlen: Denn wenn ihnen dicke Menschen ihre Körper neiden würden, dann wäre das ja nicht weniger als ein Eingeständnis, dass besagte Körper erstrebenswert sind, und somit ist mensch selbst, wenn mensch über einen solchen Körper verfügt, eine bessere Person und über die Dicken erhaben. Dem Ganzen liegt natürlich zugleich ein bestimmtes Bild von Schönheit zugrunde, das diejenigen, die sich über den angeblichen Neid echauffieren (und ihn aber wie eben gesagt zugleich genießen) als selbstverständlich und objektiv ansehen und auch in der Diskussion als selbstverständlich und objektiv setzen, obwohl es beides nicht ist.


Ein tatsächlicher Blick in den Fat Activism, einschlägige Social-Media-Profile von Influencer*innen mit als "Übergewicht" charakterisierten Körpergrößen sowie Kommentare derselben zeigen nun aber leicht auf, dass ein wichtiges Element in der Philosophie dieser Richtung ist, den eigenen Körper entgegen der gesellschaftlichen Norm lieben zu lernen, zu akzeptieren und eben auch als schön wahrnehmen zu können. Das passt nun absolut nicht mit der Vorstellung zusammen, dass diese Menschen neidisch auf schlankere Körper wären – entsprechend kann der angebliche Neid auf schlankere Körper als der Strohmann identifiziert werden, der er nun einmal ist. Es handelt sich hier schlicht um ein argumentatives Werkzeug, um sich mit der eigentlichen Diskriminierung von Hochgewichtigen in der westlichen Gesellschaft nicht auseinandersetzen zu müssen, die, nebenbei bemerkt, von Beleidigungen über geringeren Lohn bei gleicher Arbeit bis hin zur Benachteiligung beim Versuch der Inanspruchnahme von Adoptionsmöglichkeiten reicht.


Nur in einer Weise kann mensch vielleicht von einem „Neid“ seitens der Hochgewichtigen sprechen: Nämlich ein Neid darauf, nicht wegen des eigenen Gewichts beleidigt und diskriminiert zu werden, was schlankeren Personen nun einmal seltener passiert. Zugleich aber wäre es sehr seltsam, den schlichten Wunsch danach, angemessen und wie ein fühlendes menschliches Wesen behandelt zu werden, ausgerechnet mit der negativen Emotion des „Neides“ zu framen. Denn wenn der Wunsch nach ein bisschen Anstand schon Neid ist, dann weiß ich auch nicht weiter.


Es mag nun dagegen gehalten werden, dass mensch selbst aber Erfahrung mit tatsächlichen „Neidern“ gemacht habe; und wiewohl ich dem Urteilsvermögen von Leuten, die handfest fettfeindliche Comics posten, auch misstrauen würde in Hinblick auf die Frage, ob es denn den Wunsch, nicht diskriminiert zu werden, von diesem eventuell eben nur angeblichen Neid unterscheiden kann, so will ich die Möglichkeit davon zumindest eingestehen, stelle aber die Frage, wie oft denn mit Verlaub so etwas vorkommt und ob das wirklich ein größeres Problem ist als die handfeste Diskriminierung von Hochgewichtigen in unserer Gesellschaft. Denn manchmal ist nicht einfach nur die Logik oder Stichhaltigkeit einer Argumentation ein Problem, sondern auch der Umstand, dass Diskurse thematisch in eine Richtung gelenkt werden, in der mensch sich mit den eigentlichen und drängenden Problemen, denen wir uns längst widmen sollten, nicht beschäftigen muss und stattdessen einfach nur auf die Unterdrückten in unserer Gesellschaft weiter eintritt.

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