Die Kunst eine Blockhütte zu bauen

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Die Kunst eine Blockhütte zu bauen

- oder Corona und der Schulalltag


Hach, das wird doch kein Problem – dachte ich mir. Die Schulen geschlossen, meine Tochter arbeitet von daheim. Sie ist 13 Jahre alt (gerade geworden) und gut in der Schule. Das wird kein Problem. #zamhoidn lautet der Hashtag der modernen Bildungseinrichtung, die meine Tochter besucht. Siebte Klasse Unterstufe. Das wird ein Klacks!


Die erste Woche läuft ganz gut. Es ist nur Latein, welches mir Sorgen bereitet. Sie kann die Übersetzung nicht lösen und rät sich ihre Sätze zusammen. Als engagierte Mutter helfe ich! Vier Minuten und 23 Sekunden später sehe ich ein, dass ich es nicht kann. Eifrig schlage ich Wort für Wort nach und glaube bei einem Satz weitergekommen zu sein. „Mama, das ist die falsche Zeit. Das muss man doch sehen. Das ist ...“ Sie wirft mir etwas um die Ohren, das ich nicht entschlüsseln kann. Resigniert denke ich an Herrn Petry und Herrn Fenzel, meine früheren Deutschlehrer. Meine Lieblingslehrer. Beide brachten ihrerseits Generationen durch die bayerischen Abiturprüfungen. Dabei blieb wohl keine Zeit, mir etwas beizubringen, das mir helfen könnte diesen einen Satz in die richtige Zeitform zu setzen. In Deutsch war ich immer gut – denke ich mir und muss einsehen, dass Deutsch eben nicht Latein ist. Naja, alles andere haben wir ja geschafft, sage ich mich vor. Bevor ihr Papa, sie zum Papawochenende abholt (während der Coronazeit ist das Besuchsrecht gesetzlich nicht ausgeschalten), verspricht mir mein Kind hoch und heilig, dass alle Aufgaben erledigt und abgegeben sind. Gut, denke ich, gut, gut, ich habe ja ein braves Mädchen. Mir tun andere Eltern leid, bei denen es nicht so einfach funktioniert.

Kaum ist meine Tochter zur Tür hinaus, berichte ich im Bisaboard von den Lateinaufgaben. Zu meiner Überraschung finden sich viele Helfer – eigentlich wollte ich nur jammern, weil es mich bedrückt hilflos zu sein. Mit neuem Mut gehe ich nach oben ins Kinderzimmer und suche das Lateinbuch. Es ist verschwunden. Nicht mehr auffindbar. Es hat sich in Luft aufgelöst. Herr A., Lateinlehrer, der den gleichen Vornamen wie mein Vater trägt, wird bei uns daheim liebevoll „Sigi“ genannt, stellt am Wochenende die neuen Aufgaben ein. Noch einmal begebe ich mich auf die Suche und finde das Buch unter der Matratze des Gästebetts. Ein paar Fotos schieße ich von der richtigen Seite, egal was ich mache, man kann nie den gesamten Text lesen. Entnervt nehme ich mir vor meinen alten Scanner morgen aus dem Keller zu holen. Davor kommt meine Tochter nach Hause und ich berichte ihr von den freundlichen, hilfsbereiten Menschen, die sie unterstützen wollen. Sie weint, weil jetzt ALLE wissen, dass sie nicht klug ist. Ich sage, es stimmt nicht, man kann nicht in allen Dingen gut sein und Latein ist nunmal schwer. Sie beruhigt sich nicht und ich beschließe, morgen noch einmal mit ihr zu sprechen. Es ist ja nur ein Fach, das kriegen wir schon hin.

Die Schule und die Lehrer geben sich große Mühe, wir stehen in Kontakt, niemand bleibt allein. In der letzten Woche wurde ein Schülerforum neu gestaltet, alle Aufgaben sollen nun darüber laufen. Das finde ich toll, es war nämlich gar nicht leicht alle Kanäle im Auge zu behalten, um nichts zu verpassen.


Die neue Schulwoche beginnt, in dem wir es nicht schaffen meine Tochter im neuen Forum anzumelden. Nach einigem Hin und Her ist sie drin. Erleichterung macht sich in mir breit, aber die hält nicht lange. Sie ist in der falschen Klasse eingeteilt und sieht ihre eigenen Aufgaben nicht. Wir versuchen, über das Elternforum, Kontakt zu dem Systemadministrator aufzunehmen. Es klappt nur semigut. Unsere Nachricht ist raus, wir erhalten keine Antwort. Armer Mann, wahrscheinlich weiß er gar nicht, wo ihm der Kopf steht. Bis morgen ist das sicher erledigt. Wir können schlafen gehen.

Um kurz vor 21 Uhr ruft mich meine Tochter, Tränen stehen ihr in den Augen. „Mama, ich habe Englisch nicht abgeben.“ – „Englisch?“, frage ich verwundert. „Aber ich habe dir doch gesagt, dass Frau W. dir eine Email geschickt hat.“ – „Die habe ich auch gelesen.“, erklärt sie mir. „Da waren keine Aufgaben drinnen.“ Stirnrunzelnd logge ich mich in ihr Emailfach ein. Das haben wir zu Beginn des Schuljahrs extra für die Schule eingerichtet. „Aber da sind sie doch.“, schimpfe ich und klicke auf den Anhang. „Wie hast du das gemacht?“ Langsam dämmert mir, dass ich ihr nie erklärt habe, wie man sich Anhänge ansehen und herunterladen kann. Die Aufgaben sind zum Glück nicht schwer und die ersten beiden schnell gemacht. Important periods in britisch history - lautet die dritte. Sie muss ein paar Sätze zu eine der angegeben Perioden schreiben. Sofort entscheiden wir uns für Heinrich VIII aus der Tudor-Ära. Englische Geschichte interessiert mich und über „The Colossus“ weiß ich genug, damit wir keine unnötige Zeit mit googlen verschwenden. In schierer Begeisterung erzähle ich ihr von dem gebildeten, sportlichen Prinzen, der sich zu einem Tyrannen entwickelte. Weitere 15 Minuten investiere ich in Katharina von Aragon, Anne Boleyn, Anna von Kleve und die arme Catherine Howard. Ich male einen Holzblock auf, um ihr zu erklären, wie Anne und Catherine ihr Leben verloren und erzähle, dass Historiker sich einig sind, dass Heinrich VIII niemals sagte, Anna von Kleve würde aussehen wie eine flandrische Mähre. Natürlich kann ich nicht auslassen, warum seine Tochter Mary Bloody Mary genannt wurde und dass es Elizabeth war, die während dem „Golden Age“ regierte. Weiter erzähle ich von Knight, Wolsey, Morus und Cromwell... „Mama das ist zu viel!“ Wir kürzen meine Ausführungen auf „He married six women and killed two of them because he had to get rid of them to marry anew.“ Toll, dass ich mich endlich mit einem Thema auskenne, alleine hätte sie das sicher niemals heraus gefunden.

Das schlechte Gewissen plagt mich, denn ich schreibe ihrer Englischlehrerin, dass meine Tochter die Aufgabe nicht eher abgeben konnte, weil ich erst jetzt von der Arbeit kam und sie nicht wusste, wie man Anhänge verschickt. Bloß der zweite Teil stimmt, ich bin Erzieherin, ich war eine der Ersten, die Zuhause bleiben musste. „Denkst du, sie glaubt uns das?“, fragt meine Tochter. Ich glaube es nicht, traue mich aber nicht es ihr zu sagen.


Am nächsten Morgen trifft mich beinahe der Schlag. Herr K, ein junger, freundlicher und überaus engagierter Deutschlehrer schreibt, die Kinder sollen bitte ein Buch lesen. Am liebsten würde ich zurückschreiben, dass ich seit Jahren versuche meine Tochter zum Lesen zu motivieren. Ich lese alles, was mir zwischen die Finger kommt. Im Keller stapeln sich alte Kinder- und Jugendbücher von mir. Es ist mir nicht gelungen meine Tochter nur für eines zu begeistern. Weil sie nicht zu dick sind, schlage ich meiner Tochter vor ihr die Panem-Reihe zu leihen. Eigentlich glaube ich, sie würde die Bücher mehr mögen als ich, die sie nur als so lalala empfand. Wieder erzählt mir mein Kind, dass sie doch Fanfictions liest. Schon vor einiger Zeit habe ich aufgegeben ihr zu erklären, dass man Fanfictions nicht mit Büchern vergleichen kann und es schwer ist eine gute zu finden. Die gibt es sicher, allerdings nicht in Maßen. Herrn K antworte ich nicht. Latein habe ich schon lange wieder vergessen, unterdes ich meine alten Bücher durchgehe, die mein Kind nicht lesen möchte.


In den Whatsapp-Gruppen geht es ab. Wohoo, diese Kunsthausaufgabe. Sie zeigt mir die Unterhaltung und ich frage mich: Welche Kunsthausaufgabe? Wie verrückt klicke ich durch alle Möglichkeiten, die mir einfallen und finde sie schließlich in einem Chat auf einer Plattform, in die wir schon seit Tagen nicht geguckt haben, weil wir dachten, dass alles über die neue Plattform läuft.

Zitat

Baut aus Zweigen o.Ä. eine Blockhütte mit Schlafraum und Wohnküche. Das Satteldach soll abnehmbar sein, damit man die Innenausstattung sehen kann. Ein Klo sowie die Wasserstelle sollen sich außerhalb des Hauses befinden, eventuell auch Stallungen dazubauen.

Viel Freude und Grüße D.L.


Wow, denke ich. Wie cool ist das denn? Wir fangen sofort an Weidenäste zu sammeln. Uhu haben wir daheim, Holzleim und Heißkleber. Nach etwa zwei Stunden ist klar: Nichts hält. Obwohl wir alle wegen Corona daheim bleiben sollen, fahre ich am nächsten Tag in die Stadt, bekomme aber nicht einmal Latten oder mehr als einen dünnen Blumendraht. Wegen dem geschlossenen Baumarkt gibt es keine Nägel zu kaufen. Anschließend sammel ich alle Ersatzteile zusammen, die sich im Laufe der Zeit bei uns angesammelt haben. Ein bisschen was können wir davon hernehmen. Einen gesamten Arbeitstag später haben wir irgendwie eine Wand zusammengeschustert. Sie ist nicht hübsch und wir wissen überhaupt nicht, wie wir sie an potentielle andere Wände anbringen sollen. Ich stehe kurz davor, der Kunstlehrerin zu schreiben, sie soll sich etwas anderes ausdenken. Meine Tochter möchte ihren Papa anrufen, der handwerkt gerne und baut eine Blockhütte für uns. Nein, erwidere ich stolz, nein, nein, wir bekommen das selber hin. Als nächstes möchte ich Löcher in die Äste bohren und sie auf Paketband auffädeln. Als auch das nicht hält, rufe ich MEINEN Papa an. Ein Fehler. Denn auch meinem Vater ist langweilig, da kommt so ein Blockhaus gerade recht. Er probiert all die Dinge, die wir versuchten und scheiterte ebenfalls kläglich. Verzweifelt schälen wir Dutzende Weidenäste ab und legen sie zum Trocknen auf den Ofen. Meine Mutter arbeitet in einem Seniorenstift, sie erzählt dort von der Aufgabe und der Hausmeister spendet uns Nägel und Latten aus seinem privaten Vorrat. Danke Herr Hausmeister. Gestern kommt es zum absoluten Showndown. Genervt von der unmöglichen Aufgabe entscheide ich, mich um alles andere zu kümmern. Mein Vater steht im Garten und findet, dass es nichts Wichtigeres gibt als die Blockhütte. Er ist wütend, weil er alleine ausprobiert, wie es am besten funktioniert, also schicke ich meine Tochter dazu. Es kommt zum Streit, anschließend brüllen mein Vater und ich uns an, er wirft alles weg, was bis jetzt geschafft ist und wir stehen wieder vor dem Nichts. In der Garage finde ich eine alte Schublade, ich glaube sie gehörte einmal zu einer Werkbank. Bevor ich sie mitnehme, werfe ich alles, was ich zwischen die Finger bekomme, durch den Raum. Dumme Blockhütte. Warum braucht sie auch ein abnehmbares Satteldach?

Meine Tochter holt mich, um mir zu sagen, dass sie alle Aufgaben erledigt hat. Tief atme ich durch und komme mit nach oben. Wie muss ich mich beherrschen, mein Kind nicht anzublöken. Ihre Chatleiste glüht. Drei Lehrer versuchen sie zu erreichen und ich frage bitter, warum sie die Chats nicht liest. „Welche Chats?“, fragt sie und ich überlege, ob ich ihr Leben versaute, weil ich ihr nicht erlaubte sich einen Insta-Account anzulegen. Sind rote Zahlen an einer Sprechblase kein deutliches Zeichen dafür, dass jemand versucht mit einem in Kontakt zu treten? Bis jetzt bin ich mir nicht sicher, ob sie es wirklich nicht kapierte oder bloß keine Lust hatte darauf zu klicken. Übertrieben freundlich erkläre ich den wartenden Lehrern, dass meine Kleine das Chatsystem noch nicht verstanden hat. Dabei fällt mir etwas auf. Abgabe Musik: vor 15 Stunden abgelaufen. Mein Inneres kreischt. „Es bringt nichts zu schimpfen.“, sage ich mir leise vor und lade die Musikaufgaben herunter. Was auch immer der Musiklehrer wollte, ich verstehe es nicht. Geknickt und halb heulend, sehe ich ein, dass mein Fachabitur für die Katz war. Übermäßiger D - verminderter D. Weil mir nichts anderes einfällt, rufen wir unseren Gitarrenlehrer an. „Es geht um Terze.“, sagt Martin. „Ja, das steht in der Überschrift.“, antworte ich nicht, sondern notiere mir das Wort Durdreiklang. An zwei Stellen müssen meine Tochter und ich ein ? eintragen, weil uns selbst zu dritt keine Erklärung einfällt. „Hauptsache abgegeben.“, sage ich, obwohl ich enttäuscht bin. Nicht von unserem gutmütigen Gitarrenlehrer, sondern von meiner Tochter, die es nicht hinbekommt, alles was blinkt, anzuklicken und von mir, weil ich die Musikabgabe nicht eher gesehen habe. Ich möchte schreien, stattdessen spielen wir Mario Kart 8 Deluxe und haben immer noch kein Blockhaus. Vor dem Zubettgehen erklärt mir meine Tochter, dass die Mathelösungen gekommen sind. „Und?“ frage ich. „Weiß nicht.“, erwidert sie. „Hab sie nicht gemacht, die Antworten kommen ja immer rechtzeitig.“ Ich schweige. Dabei denke ich an einen meiner besten Freunde. Seine Pflegetochter musste in Sport viermal alle Treppenstufen rauf- und runterlaufen. Bei uns gibt es drei Treppenstufen ins Haus, niemand hätte gemerkt, ob meine Tochter das gemacht hätte oder nicht.


Heute Morgen wache ich auf, draußen bellt der Hund meines Vaters. Sofort bin ich in Kriegsstimmung und öffne das Fenster. Es ist Samstag – keine Aufgaben heute! Nur die Geografie-Einträge muss meine Kleine noch eintragen. Sonst nichts. Es ist Wochenende und ich will nichts mehr von Schule wissen. Bevor ich runterrufen kann, sehe ich, was er da macht.... wir bekommen ein Blockhaus.


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Kommentare 2

  • Wow Harte Woche würde ich sagen ? ^^°

    In die Kunstaufgabe hat sich wohl jemand verbissen XD

    Wünsche dir auf jeden Fall für die nächste ganz ganz viel Geduld ^^

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  • Was eine lange Geschichte. Man geht's ab bei dir. Ich wünsche noch viel Durchhaltevermögen. ♥

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