Opfer in Uniform

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Seit mehreren Wochen nun wird über Fälle diskutiert, in denen die Polizei insbesondere gegenüber Minderheiten übermäßige Gewalt angewendet haben soll. Doch niemand spricht mit den wahren Opfern dieser Ereignisse, nämlich den Mitgliedern der Polizei selbst. Wir haben zwei Personen begleitet, die es nicht mehr ertragen können und ihr Schweigen brechen möchten.


Wenn Werner F. aufsteht und sich auf den Weg zur Arbeit macht, ist es noch früh am Morgen. Die Nachtigallen verstummen, und die Stadttauben fangen an zu gurren. Für F. ist dieser friedliche Tagesbeginn jedoch ein scharfer Kontrast zu seinem Arbeitsalltag, der sich in den letzten Monaten zu einer wahren Hölle entwickelt hat. Denn F. hat einen undankbaren Beruf – er ist Polizist. Vor wenigen Monaten bedeutete dies noch Ansehen und Respekt in der Bevölkerung. Aber die Stimmung hat sich gewandelt, und die einst so zuvorkommenden Bürger*innen der BRD haben angefangen, die Polizei zu hassen.

„Es ist mir unbegreiflich“, sagt F, während er seine Uniform anzieht. „Wir werden zur Zielscheibe von Spott und Häme, dabei haben wir uns niemals etwas zu Schulden kommen lassen. Warum vertraut uns plötzlich keiner mehr?“, fragt F. ins Blaue hinein, während er seinen Gürtel mit Handfessel, Pfefferspray, Dienstwaffe und Schlagstock anlegt, nachdem er von Letzterem das Blut abgewischt hat.


Tatsächlich hat sich in den letzten Wochen gezeigt, dass die Bevölkerung vollkommen enthemmt ist. Wütende Tweets und bösartige Beleidigungen hinterlassen bei der Polizei tiefgehende emotionale Narben. „Man hat uns schon als ‚Bullenschweine‘ bezeichnet“, sagt F., sichtlich den Tränen nahe. „Wissen die Leute überhaupt, was sie mit ihren Worten anrichten? Auch wir sind Menschen und haben Gefühle.“

Mittlerweile haben sich auch die Medien geschlossen gegen die Polizei gewandt: Eine fiese Kolumne der taz etwa bezeichnete alle Polizist*innen eindeutig als Abfall, der buchstäblich auf der Müllhalde entsorgt werden muss; alle anderen Medien klatschten einfach nur Beifall, Verständnis für die Polizei blieb komplett aus. „Pressefreiheit ist schön und gut“, sagt F., als er mit seiner Kollegin Melanie D. in den geteilten Streifenwagen steigt, „aber das geht zu weit und ist meiner Ansicht nach nur noch Hetze, eigentlich sogar Rassismus. Dagegen sollte gerichtlich vorgegangen werden.“


Am Streifenwagen von F. und D. zeigt sich deutlich, wie weit der Hass gegen die Polizei schon fortgeschritten ist: Die Antenne fehlt, die Seitenspiegel sind abgetreten, der Lack ist zerkratzt und mit Graffiti beschmiert, die Reifen sind durchstochen. Man würde diesen Wagen ja reparieren oder durch einen neuen ersetzen lassen, so F. Aber letztlich würde das nichts bringen – sobald man nur einmal in einem McDonalds zu Mittag esse und den neuen Wagen draußen stehen ließe, würde er direkt wieder so aussehen.


Ich werde heute von den beiden mitgenommen, aber hoffentlich nicht so sehr wie ihr Wagen. Die Fahrt geht über eine neu ausgearbeitete Route, die bestimmte Gegenden meidet. „Früher konnten wir überall hinfahren“, sagt D., die am Steuer sitzt. „Aber mittlerweile müssen wir bestimmte Stadtviertel meiden.“ In manchen Teilen der Stadt ist die Bevölkerung so enthemmt, dass sich kein*e Polizist*in dort aufhalten kann, ohne Opfer von brutaler Gewalt zu werden. Wenn man Gerüchten glauben kann, wurden kürzlich hier in der Nähe in einer Kleingartenanlage zwei Streifenpolizisten auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Doch selbst wenn man derartige Orte meidet, ist die Ablehnung der Bevölkerung und ihr mangelnder Respekt deutlich spürbar: Kaum biegen wir in eine Straße ein, öffnen sich überall die Fenster, Buhrufe ertönen, faule Tomaten landen auf der Windschutzscheibe. „Womit haben wir diese Ablehnung nur verdient?“, fragt F. kopfschüttelnd.


Gegen Mittag sehen wir an einer Straßenecke eine Schlägerei zwischen zwei Männern, beobachtet von mehreren Umstehenden. Einer der Beteiligten hat ein „südländisches Aussehen“, wie F. professionell bemerkt. Nachdem D. und F. die beiden Leute getrennt und den mutmaßlichen Migranten auf dem Boden mit Handfesseln fixiert haben, mischen sich die Umstehenden ein. Sie behaupten, der Mann „habe sich nur verteidigt“. Nur mit Mühe gelingt es D. und F., die Kontrolle über die angespannte und gefährliche Situation zurückzugewinnen, bis Verstärkung eintrifft und ihnen den ausländischen Tatverdächtigen abnimmt. „So etwas passiert immer häufiger“, sagt F. bedauernd. „Unsere Autorität, die für unseren Beruf so wichtig ist, wird einfach untergraben.“ Morgen, so fügt D. hinzu, wird man wohl wieder etwas darüber lesen, dass dieser Vorfall einen latenten Rassismus in der Polizei belege, nur weil der Täter halt mal wieder wie üblich ein Südländer war.


„Ich kann es ihnen sagen: Es gibt definitiv keinen Rassismus in der Polizei“, betont F. Zwar seien ausländische Personen bei den Opfern von Polizeigewalt überrepräsentiert, das müsse aber nichts heißen: Es könnte schließlich auch einfach daran liegen, dass Ausländer einfach generell aggressiver und gefährlicher sind, weshalb das härtere Vorgehen gerechtfertigt sei. Mit Rassismus habe das eindeutig nichts zu tun, doch wie bei dem Vorfall eben stelle sich die Bevölkerung immer gegen ihre Polizei, ohne jeden Grund.


Was genau die Gründe für all die feindlichen Aktionen gegenüber der Polizei sind, ist unbekannt. F. und D. vermuten, dass die Bevölkerung von linksextremen Gruppen unterwandert worden sei. Studien könnten zeigen, ob dieser Verdacht der Wahrheit entspricht, doch sie werden nicht ausgeführt. Werner F. ist jedoch überzeugt, dass das Volk schon längst nicht mehr die vertrauenswürdige Institution ist, für die man es immer gehalten hat. Das beliebte Polizistenkostüm an Karneval für Kinder werde seiner Wahrnehmung nach immer öfter durch Antifa-Hoodies ersetzt – ein eindeutiges Zeichen.

„Das Volk hat generell zu große Macht“, sagt F. „Alle Staatsgewalt geht von ihm aus. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber für mich sind das viel zu weitreichende Befugnisse.“ Auch fehle es an unabhängigen Kontrollinstitutionen, das müsse sich ändern, um der Lage wieder Herr zu werden. Die Polizei mit Tasern, Handgranaten und Panzern zu bewaffnen, könnte ebenfalls dabei helfen, den verlorengegangen Respekt wiederherzustellen.


Natürlich erkennt F. auch an, dass es schlechte Polizist*innen gebe: „So Leute, die Daten an ein paar Rechtsextreme weitergeben, die sind mir ja auch ein bisschen suspekt, denn die kratzen ja massiv an unserem Image.“ Aber mit denen habe er ja nichts zu tun, und man solle es hier vielleicht der Polizei erlauben, das Ganze intern zu regeln: „Wir kontrollieren uns schon selbst.“ Wenn in einem Schachverein jemand etwas Dummes sage, dann läge es da ja schließlich auch bei der Vereinsleitung, der Person auf die Finger zu klopfen.


Am späten Nachmittag für F. und D. Sie werden sich in ihren jeweiligen Wohnungen ausruhen, wobei Werner F. auch in den eigenen vier Wänden ständig Belästigungen durch die Nachbarn drohen. D. hingegen wird sich auf einer öffentlichen Toilette umziehen, bevor sie nach Hause geht: „Ich versuche zu verheimlichen, dass ich Polizistin bin, um privat vor Anfeindungen geschützt zu sein.“


Doch selbst wenn sie beide diese Nacht ihre Ruhe haben werden, so rechnen D. und F. damit, dass es ihnen morgen wieder schwerer fallen wird, aufzustehen und ihrer Arbeit nachzukommen. Die Frage, ob all das es noch wert ist, treibt sie permanent umher und man mag den Tag fürchten, an dem die Antwort „Nein“ lautet.