Die Schaukeln in unseren Gärten

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„Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen ‚Dies gehört mir’ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört’.“

- Jean-Jacques Rousseau


Es wird gerne behauptet, früher sei alles besser gewesen, und auch wenn man diesen Satz wohl hauptsächlich den Boomern zuschreibt, so formulieren ihn dennoch auch andere, und das manchmal vielleicht sogar mit Berechtigung, sofern sie das „alles“ streichen und durch ein „etwas“ ersetzen. Ob ich diesen modifizierten Satz gerechtfertigterweise behaupten kann, ist nun die Frage; Tatsache ist, dass ich das Wochenende über bei meinen Eltern war, die in einem verkehrsberuhigten Bereich wohnen, und ein verkehrsberuhigter Bereich wird umgangssprachlich ja auch Spielstraße genannt. Nun gibt es aber scheinbar schon lange gar keine Kinder mehr in dieser Gegend, denn das ganze Wochenende habe ich sie nirgendswo auf der Straße spielen sehen, anders als früher, wo sie – und das weiß ich aus erster Hand, ich war ja eins von ihnen – Mülltonnen aus der Einfahrt schoben, damit diese als provisorische Pfosten von Fußballtoren herhalten konnten.

Neben dem Umstand, dass es keine Kinder auf der Straße mehr zu geben scheint, sondern nur noch alte Leute in ihren Häusern, ist aber natürlich auch die bauliche Entwicklung der Gegend zu berücksichtigen, die schon in meiner Kindheit darin bestand, die großzügigen Pferde- und Obstwiesen in der Nähe zuzupflastern und eben weitere Familienhäuser hinzustellen, und damit scheinen die Orte, zu denen man als Kind hingehen und an denen man spielen konnte, nun einmal allzu sehr zusammengeschrumpft zu sein.

Wobei Letzteres hier natürlich nur vorsichtig als negative Entwicklung dargestellt werden darf, muss man doch anmerken, dass ich, wenn ich mich einfach nur über die paar (okay, es sind vielleicht mehr als ein paar) Häuser mehr in der Gegend beschweren würde, dies ja nur aus Missgunst täte, und somit also anderen Familien verwehren würde, in diese Gegend zu ziehen, obwohl sie eigentlich für Familien gut geeignet und es daher nun einmal wert ist, mit mehr Menschen geteilt zu werden – etwas abgelegen und mit ausreichend Natur und Wald, aber dennoch mit günstiger Verkehrsanbindung und Grundschule und Kindergärten in der Nähe. Ich wäre also nicht anders als eben jenes besitzende Bürgertum, das sich über den Zuzug anderer Leute in „ihre“ Gegend beschwert und die Verschandelung durch neuen Wohnraum, selbst wenn dieser nun einmal notwendig sein sollte. Auf der anderen Seite ist es natürlich aber auch nur jenes besitzende Bürgertum, das sich hier ansiedelt, und nicht das Proletariat, und die Mentalität, die damit einhergeht, ist wohl das eigentliche Ärgernis.

Denn es ist im Grunde nicht einmal wirklich die Verkleinerung von Obst- und Pferdewiesen durch neue Häuser, die mir negativ aufstößt, sondern es ist – und da kommt die Spielstraße, auf der eben nicht mehr gespielt wird, ins Spiel – die Tatsache, dass die verbliebenen Reste eben jener Wiesen gründlich eingezäunt und zu privaten Gärten umfunktioniert, mithin zu Sperrgebieten deklariert worden sind. Wenn man sich also früher auf der Obstwiese einfach einen Apfel pflücken konnte, wenn man das wollte, und niemand einen dafür anschrie – irgendwem wird die Obstwiese wohl gehört haben, aber er störte sich offensichtlich nicht daran – kann man nun also nicht zu den verbliebenen Apfelbäumen hingehen und das tun, ohne für Hausfriedensbruch und vielleicht auch Mundraub belangt zu werden. Zugleich sieht man die Kinder, die eben nicht auf der Straße sind, in exakt jenen Gärten spielen – nicht mit Mülltonnen als Fußballtoren, sondern mit richtigen Konstruktionen aus Leichtplastik und mit einem Netz, dazu noch Klettergerüste und natürlich Schaukeln. Die Kinder in diesen umzäunten Gärten haben also alles, wozu man sich sonst auf den örtlichen Spielplatz begeben müsste, und weil man sich dort nun einmal beim Schaukeln mit anderen Kindern abzuwechseln hätte, bleibt man zu Hause und schaukelt, wann immer man es will. Vielleicht lädt man zum Fußballspielen noch ein oder zwei von den Eltern ausgewählte Freund*innen ein, anstatt wie früher an allen Türen in der Straße zu klopfen und am Ende etwa mit einem Dutzend mehr oder weniger bekannter Kinder Fußball auf der Straße zu spielen.

Ich bin kein Pädagoge, Erziehungswissenschaftler oder sonst was in der Art, aber mir scheint es ohne Fachwissen erst einmal so, als würde die Tatsache, dass eben nicht alles, was man haben will, direkt im Garten, sondern ein Stück weit entfernt auf einem Spielplatz ist, durchaus eine wichtige Lektion für Kinder bereithalten, wie auch die Gewöhnung daran, dass man sich beim Schaukeln mit Gleichaltrigen abwechseln muss, den Charakter bilden kann. Dass all das durch den Spielplatz im eigenen Garten, in dem man vor den Leuten, die ihn sich nicht leisten können, durch einen Zaun geschützt ist, den es früher nicht gab, nicht geleistet wird (auch gar nicht geleistet werden kann), erscheint mir damit eigentlich als Defizit, und – das möchte ich an der Stelle betonen – nicht als ein Defizit im ökonomischen Sinne, auch wenn sich diverse Eltern bei diesem Text hier vielleicht nur denken würden, dass sie ihrem Kind dadurch eine wichtige Gelegenheit zur Frustrationstoleranzentwicklung nehmen, was dann später seine Arbeitschancen mindert; was daran alles falsch ist, muss hoffentlich hier nicht erwähnt werden, und falls doch, dann ist es wohl eh schon zu spät.

Womit aber auch die letzte Brücke geschlagen ist, denn an all dem sind ja nicht die Kinder selbst schuld, sondern ihre Eltern, und diese sind nun witziger- bzw. traurigerweise gerade jene Generation, die früher aus Mülltonnen ihre Fußballtore bastelte und diesen Umstand immer mal wieder nostalgisch verklärt (so geschehen ja in diesem Text), aber ihn offenbar auch als so unerträglich empfunden hat, dass sie ihn nicht auch noch ihren eigenen Kindern zumuten möchte. Dass keine Kinder mehr auf der Straße spielen, liegt also letztlich nur daran, dass die, die es noch taten, erwachsen geworden sind und ihre eigenen Kinder nun von der Spielstraße, die keine mehr ist, fernhalten, koste die Schaukel im Garten, was sie wolle.


Gut also, dass ich selbst keine Kinder habe – ich würde mich am Ende wohl nur mitschuldig machen.

Kommentare 10

  • "Auf der anderen Seite ist es natürlich aber auch nur jenes besitzende Bürgertum, das sich hier ansiedelt, und nicht das Proletariat, und die Mentalität, die damit einhergeht, ist wohl das eigentliche Ärgernis."

    Auf einer Skala von 1-10, wie gut kannst du das kommunistische Manifest zitieren?

    • Tatsächlich gar nicht mal so gut - wobei ich die Gespenstererzählung am Anfang kenne und die wohl zum Teil zitieren könnte. Generell bin ich mit Texten von Marx und Engels wenig bis gar nicht vertraut. Meine linke Bildung wurde besorgt von der Titanic, ein bisschen Adorno, den Känguru-Chroniken, LeftTube und zwei Studenten und einer Studentin, die ich während meines Wissenschaftstheoriestudiengangs kennengelernt habe und von denen einer die konkret abonniert hat. Na ja, und manche Personen hier aus dem Forum haben vielleicht auch einen Teil beigetragen und hier und da habe ich Texte von ein paar eher linken Kommentator*innen gelesen. Aber ich bin da sehr unsystematisch. Ich wollte ja eigentlich immer in der Richtung während meines Studiums was machen, aber aus irgendeinem Grund werden dazu selten bis gar nicht Seminare angeboten, und wenn ich selbst mal für mich in der Bibliothek vor der MEGA stehe, ist halt das Problem, dass die Sigle Programm ist und ich nie weiß, wo ich anfangen soll.


      Grundsätzlich könnte ich das Manifest aber mal vollständig lesen, ist ja auch leicht verfügbar.

    • Das Manifest ist auch ein relativ einfaches und kurzes Werk, wenn man im Lesen solcher Texte geübt ist, hat man das sicherlich in fünf Stunden durch und vollständig verstanden. Das Kapital ist das bedeutend anstrengendere Werk, vor allem weil es sehr redundant und unnötig in die Länge gezogen ist. Möchte da auf jeden Fall die gefühlten 100 Stunden meines Lebens für zurück.

  • Ein Thema, worüber ich auch immer wieder nachdenke, wenn ich Eltern mit ihren Kindern auf Spielplätzen beobachte. Kenne es auch so, dass wir als Kids mehr Freiheiten genoßen. Wer ging damals bitteschön mit Mami und Papi zum Spielplatz? Kannte da keinen, der seine Ellis im Schlepptau hatte. Im TV lief zu der Zeit auch keine Horrormeldung nach der anderen (Entführung, Missbrauch, Mord) und das nachbarschaftliche Umfeld war so gestrickt, dass Eltern der befreundeten Kids eben auch mal ein Auge aus dem Küchenfenster warfen, wenn man draußen vor der Straße herumtobt. Wie du so schön beschrieben hattest, war die Bebauung nicht so stark wie heute und wenn nun auch weniger (Spiel)Platz für die Kinder zur Verfügung steht, so haben Kinder einen ziemlich erfinderischen Geist und können - so denke ich mir, wenn ich meine 2 kleinen Cousins beim Spielen beobachte, auch mit wenig Raum ihr Fantasie zum blühen bringen und dann wird eben mit Kartons oder selbst Plastikmüll gespielt und daraus Rüstungsteile und Waffen gebaut ^^ Etwas anderes ist es, wenn man bewusst den sozialen Kontakt der Kinder einschränkt und ihnen dahingehend Verbote erteilt. Das Kindern nicht alles zur Verfüngung steht (viel/beste Spielzeug, eigenes Klettergerüst, eigenes Grundstück etc) war doch damals auch so oder? Dafür hat sich das im Freundeskreis so durchgemischt, dass man bei Einem eben besonders gut zum Klettern im Garten verabredet war und mit dem andern Kumpel eben ein besonders tolles Spielzeug spielen konnte. Da ist es echt wichtig als Elternteil darauf zu achten, dass das Kind genug soziale Kontakte abbekommt.

    Alte Bedankung 1
  • Ich hatte einfach als Kind eine Schaukel im Türrahmen meines Zimmers.

    Alte Bedankung 2