Ich habe diesen Text noch gefunden und haue ihn jetzt halt viel zu spät raus, aber das ist mir ehrlich gesagt auch scheißegal

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Der Mann, der hinter der Kanzlerin herputzte


Als uns Gerhard Winkler die Tür öffnet, deutet nichts darauf hin, dass es sich bei ihm um keinen gewöhnlichen Menschen handelt. Sein Haus ist klein und bürgerlich, sein Händedruck fest, seine Begrüßung förmlich. Das kurze braune Haar beginnt an seinen Schläfen zu ergrauen und sein Blick wirkt freundlich. Wir folgen ihm in ein mit einfachen Möbeln eingerichtetes Wohnzimmer und nehmen das stille Mineralwasser an, das er uns anbietet. Winkler ist ein Mann, der auf dem Boden geblieben ist, obwohl er im höchsten Kreis der deutschen Politik verkehrte, das heißt im Umkreis der nunmehr ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch keine Wahl hat ihn in seine hohe Position gebracht und kaum jemand aus der Bevölkerung hat seine Existenz auch nur im Ansatz wahrgenommen. Denn Winkler ist ein Mann, dessen Wirken in der Politik kaum wahrnehmbar ist: Er ist derjenige, der das Büro der Bundeskanzlerin im Bundeskanzleramt jede Woche einmal geputzt hat, meistens am Freitag.


Der Einfluss, den Winkler auf die Politik genommen haben könnte, ist kaum abzuschätzen, unter anderem, weil es keine Aufzeichnungen dazu gibt. Sein Wirken fand im Stillen statt, räumlich zwar den Konferenzsälen der Politik nahe, doch außerhalb des Scheinwerferlichts, das die Medien auf sie richteten. Welche Staatsgeheimnisse hat Winkler mitbekommen, welche Lösungsvorschläge hat er der Kanzlerin unterbreitet, wenn sie mal zu lange in ihrem Büro blieb und er „zufällig“ schon da war, für welche Persönlichkeiten hat er lobbyiert?


„Eigentlich war da nichts Besonderes“, sagt Winkler und zuckt mit den Achseln. „Ich habe da nur geputzt – aus der Politik halte ich mich raus, ich bin Nichtwähler.“ Es ist die vorgeschobene Bescheidenheit eines Mannes, der gelernt hat, in der Politik taktisch klug zu agieren, der sich nicht in die Karten schauen lässt, bis er das Royal Flush mit triumphierendem Blick auf den Tisch knallt.


„Nein, wirklich“, beteuert Winkler, „ich bin nur der Putzmann.“ Doch seine freundliche Miene täuscht – da ist ein Schimmer von Stahl in seinen Augen, ein Hinweis auf den Stachel, der unter seinen sanften Worten liegt, auf die Macht, die unbeachtet von der Bevölkerung in seinen schaufelgroßen und schwieligen Händen liegt. Winkler, der im Dunkeln agierende Mann inmitten des strahlenden Herzens unserer Demokratie. Stecken in den Ordnern in seinem Wohnzimmer Aufzeichnungen über die geheimen Gespräche aus dem Bundeskanzleramt? Kennt er finstere Privatgeheimnisse, die das politische Erbe Angela Merkels beschädigen könnten?


„Selbst wenn ich jemals irgendetwas mitbekommen hätte“, erwidert Winkler, wobei der Ärger in seiner Stimme ihn Lügen straft, „würde ich natürlich nichts ausplaudern. Das geht mich alles nichts an.“ In diesen Worten zeigt sich die wahre Persönlichkeit des Politmenschen Winkler: Der Mann, der stets loyal zu Angela Merkel hält. Für sie würde er durch die Hölle gehen, die der Politikalltag zuletzt geworden war, er würde eine Kugel mit seinem treuen Herzen für sie abfangen, ja, er würde sogar die Schuld für die Skandale auf sich nehmen, von denen er nichts zu wissen vorgibt. Was muss man für ein Mensch sein, um sich so bedingungslos für das Wohl der Kanzlerin und der Nation aufzuopfern?


„Die Kanzlerin ist mir komplett egal!“, sagt Winkler. „Ich arbeite ja auch für den neuen Typen weiter, Schloz oder wie der heißt.“ Ein Politkrimi beginnt sich abzuzeichnen: Winkler, der einst treue Mann hinter Angela Merkel, wechselt die Seiten. War er vielleicht schon immer ein Doppelagent, ein Spion der Sozialdemokratie, die so lange im langen Schatten Angela Merkels vor sich hin vegetierte? Hat sein Verrat die Kanzlerin so erschüttert, dass sie nicht mehr zur Wahl antreten wollte? Ist Kanzler Scholz eine Schöpfung Winklers? Das Schicksal unserer Demokratie, aus den Schatten heraus gelenkt von der Hand eines einzelnen Mannes – eine erschreckende Vorstellung, doch irgendwie auch mitreißend, faszinierend, eine Auflockerung des tristen Alltags.


„Hören Sie“, sagt Winkler, „ich weiß ja nicht, was sie hier versuchen, aber so langsam geht es mir doch auf den Geist.“ Da ist sie nun klar herauszuhören, die befehlsgewohnte Entschlossenheit, die Kampfeslust und die Machtgier. Winkler ist ein Mann, der keinen Widerspruch duldet, der vielleicht sogar die richtigen Leute kennt, um die Presse oder einzelne Personen zum Schweigen zu bringen. Die Reichweite seiner Macht ist unbegrenzt, er müsste nur mit den Fingern schnippen und wir würden irgendwo im Harz lebendig verbuddelt werden. Wir entscheiden uns, das Leben zu wählen, und verabschieden uns, bevor wir noch einmal bei ihm klingeln müssen, da wir unsere Regenschirme vergessen haben und es draußen regnet. Als er uns öffnet, erspähen wir hinter ihm auf dem Wohnzimmertisch einen Laptop, auf dem gerade eine Zoom-Sitzung läuft – Winkler sagt, dass es sich um seine Skatkumpel handelt, mit denen er aufgrund der Pandemie nur noch online Kontakt hat. Es passt nur zu gut ins Bild: Auch ein Mann wie Winkler braucht seinen Ausgleich, den Kontakt mit einfachen Menschen, das gemütliche Spiel mit geringeren Subjekten. Wir überlassen ihn also der Sitzung mit seinen Skatkumpeln, die witzigerweise wie Wladimir Putin und Xi Jinping aussehen, und treten hinaus in den Regen, geschützt mit unseren Schirmen, die aber vollkommen wirkungslos sein werden, sollte sich der Zorn des Machtmenschen, den wir eben verlassen haben, jemals auf uns richten.


Wir sind daran gescheitert, den Menschen Gerhard Winkler wirklich kennenzulernen; doch dafür haben wir die dunkle Aura, die er verströmt, am eigenen Leib zu spüren bekommen.