Es weihnachtet sehr deutsch

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Dass die immer wieder aufkeimende Debatte um eine deutsche Leitkultur nichts anderes als bescheuertes Blendwerk ist, dürften wohl alle, die nicht direkt auf Selbiges reinfallen, mittlerweile gemerkt haben; und intelligenter oder moralischer ist sie in den letzten Jahren auch nicht geworden. Ein Thomas de Maizière prägte vor Jahren in seinem „Leitkulturbeitrag“ den inhaltlich wie grammatisch schwierigen Satz „Wir sind nicht Burka“ und demonstrierte damit direkt, worum es bei dem ganzen deutschen Zirkus in erster Linie geht, nämlich ums Ausschließen und Spalten und eben nicht darum, mal wirklich aufeinander zuzugehen. In diesem Jahr legte die BILD-Zeitung nach und behauptete, Deutschland sei „ein Land der Griller“ und „viele Deutsche essen Schweinefleisch“ (von Nils Minkmar im Übermedien-Podcast wird dieses Deutschland-Bild zurecht als Fiktion bezeichnet), und dafür werden sich wohl die jüdischen Menschen, denen BILD wohl irgendwie beispringen wollte, sicherlich bedanken, ebenso für die immer wieder in den sozialen Medien zu lesenden Konstatierungen, dass echte Deutsche nun einmal St. Martin und Weihnachten anerkennen müssen, und wer widerspricht, dem wird oberschlau entgegengehalten, dass aber doch ein St. Martin ein allgemeines Vorbild sein müsste, weil er einmal einem frierenden Bettler gleich die ganze Hälfte seines Mantels überließ.


Die traurige Ironie dabei ist, dass sich aus einer solchen Geschichte wie auch aus der Weihnachtsgeschichte in der Tat so etwas wie ein Wert oder ein moralischer Imperativ extrahieren ließe: Menschen, die von der Gesellschaft im Stich gelassen wurden (der Bettler) oder vor Verfolgung fliehen (Maria und Josef), zu helfen, wäre ja durchaus etwas, auf das sich vielleicht doch mal so langsam geeinigt werden könnte, aber genau das ist der Punkt: Das kulturkämpfende konservative deutsche Milieu von BILD über Merz bis Söder will diese Einigung eben nicht, sondern so tun, als sei mit der Ausgrenzung bestimmter Gruppen schon die Lösung für all unsere Probleme gefunden, und es geht nur noch darum, sie konsequent durchzusetzen, indes ja auch der derzeitige Kanzler eigentlich gar nicht so anders denkt und darin von seinen Koalitionspartnern auch unterstützt wird, zur Not eben mit Bauchschmerzen.


Wenn dann gelesen wird, dass Geflüchtete einen Supermarkt bestehlen, ist es mit dem Verständnis für die Verfolgten folglich auch schnell vorbei, wenngleich argumentiert werden kann, dass das im weihnachtlichen Kontext irgendwie auch nur folgerichtig ist: Denn was eine korrekt erzählte Weihnachtsgeschichte braucht, sind ja nicht nur Maria und Josef, sondern auch die Leute, die ihnen die Türen vor der Nase zuschlagen, bis sie zumindest in einem Stall inmitten von Tieren bleiben dürfen, und ebenso braucht es wohl auch einen Herodes, der zugleich hinter ihnen her ist. So viel commitment für die eigenen Rollen in der realen Entsprechung der Weihnachtsgeschichte hat schon etwas Bewundernswertes, zumal es eben die Rollen der Bösen sind, die ja eigentlich niemand sein möchte.


Was das größere Elend ist, werde ich wahrscheinlich bis Ende des Jahres nicht mehr herausfinden: Dass sich die Bereitschaft, reale Probleme zu ignorieren und ein Gespräch über sie durch kulturkämpferischen Schwachsinn zu ersetzen, immer noch fortsetzt und entsprechend ein Leiter des EDEKAs, aus dem geklaut wird, gleich davon reden, kann, dass „die […] unsere Wirtschaft ruinieren [werden]!!!“, als seien die Gründe für eine Rezession nicht ein bisschen tiefgehender als ein paar Ladendiebstähle; oder aber, dass, würde sich jemand mal tatsächlich die Mühe machen, statt auf oberflächlicher weihnachtlicher Ästhetik als ultimativem Zugehörigkeitsbeweis zur deutschen Gesellschaft zu bestehen, die tatsächliche Moral der Weihnachtsgeschichte herauszuarbeiten, dieser Jemand wahrscheinlich zu dem Schluss kommen würde, dass die Vertreter*innen der Oberflächlichkeit weihnachtlicher Moral am wenigsten entsprechen – wie auch die BILD in ihrem Leitkultur-Manifest nicht einmal den ersten Artikel des Grundgesetzes richtig hinkriegt.


In diesem Sinne: Frohe Feiertage.

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