Typen von Philosophiestudierenden, Teil 1: Der ältere Gasthörer

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Immanuel Kant zufolge legen wir die Kategorien des Verstandes als Ordnungsraster auf die Welt. Entsprechend möchte ich ein Ordnungsraster auf diejenige Menge legen, deren Elemente die Eigenschaft haben, Philosophie zu studieren.


Teil 1: Der ältere Gasthörer

Man rätselt, was seine Motivation sein mag, sich in einen überhitzten Raum mit einem Haufen junger Studenten zu begeben. Vielleicht hat er Langeweile. Vielleicht hat er nichts zu tun. Vielleicht beides. Eines ist sicher: Lernen will er hier nichts, denn er weiß schon alles, zumindest im Verhältnis zu uns einfachen Bachelorstudierenden. So setzt sich der meist Übersechzigjährige bewusst in das Seminar zu Hegels Ästhetik, während er nicht nur dessen komplette Vorlesungen über die Ästhetik fünfmal gelesen und analysiert hat, sondern zusätzlich auch noch dreimal die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften und jede Menge dazugehöriger Sekundärliteratur. Die Gedanken, die im Seminar von anderen Studierenden in Zusammenarbeit mit dem Dozenten nach und nach langsam erarbeitet werden sollen, hat er alle schon vor Jahren erfasst und haut sie raus ohne Rücksicht auf Verluste und genervtes Stöhnen. Dass den Studierenden die Lösung ohne den Weg wenig nützt, geht ihm am Arsch vorbei. Stattdessen betont er zehnmal, dass es in Hegels Philosophie ja eigentlich grundsätzlich um Freiheit geht. Außerdem hat er immer doppelt so viele Bücher auf seinem Tisch liegen wie der Dozent und zitiert gegen das, was letzterer sagt, aus mehreren Sekundärwerken gleichzeitig, meist mit einem selbstgefälligen Grinsen. Seine Diskussionsbeiträge, mit denen er stets andere Seminarteilnehmer unterbricht, nehmen standardmäßig die Form von Monologen an, in denen er mit der lautesten aller Stimmen durch den Raum brüllt und dabei seinen infernalischen Mundgeruch sowie seinen ätzenden Speichel verbreitet. Entsprechend will keiner neben ihm sitzen; wer das Pech dazu hat, der wird von ihm vor eigentlichem Beginn des Seminars in ein Gespräch über das Studium verwickelt, zu dessen Ende der ältere Gasthörer sich abschätzig darüber äußert, dass man selbst so lange dafür braucht. Ähnlich schlimm läuft es, wenn man nach dem Seminar mit ihm im gleichen Aufzug steht: Dann legt er einem zahlreiche Textstellen ans Herz, die man "unbedingt gelesen" haben sollte, denn sonst "könnte man gar nicht verstehen, was Philosoph X mit Y sagen will". Nächste Woche wird dann natürlich dazu abgefragt. Der einzig positive Aspekt an ihm ist, dass er den Hass sämtlicher Seminarteilnehmer auf sich konzentriert. Persönliche Streitigkeiten werden beigelegt, geeint steht die Masse gegen ihn. Vielleicht ist ja das seine Motivation, also alle in einer auf ihn abzielenden Abneigung zusammenzuschweißen - hiergegen spricht allerdings, dass er, wenn man ihn danach fragt, was er denn hier eigentlich will, wenn er sowieso alles weiß, souverän antwortet: "Ich möchte sicherstellen, dass auch alle hier wirklich begreifen, worum es geht." Worum es geht? Vermutlich um ihn.


Dieser Beitrag wurde ihnen präsentiert von rülpsr.


P.S.: Der Mythos, dass ein Freitag, der am dreizehnten Tage eines Monats stattfindet, Unglück bringt, konnte heute endgültig falsifiziert werden, indem ein junger Student der Philosophie und Chemie seine mündliche Bachelor-Prüfung mit einer 1,0 abschloss.

Kommentare 3

  • Gratuliere! :D

    Die Note hat der junge Student aber sicher nur den Bemühungen des netten Gasthörers zu verdanken

    Alte Bedankung 2
    • Danke. :)

      Naja - die Seminare, die am ehesten mit den Prüfungsthemen zusammenhingen, waren von derartigen Gestalten befreit. Entsprechend wäre es wohl schwierig, hier einen kausalen Zusammenhang zu sehen.

    • Aber wenn die entsprechende Person sich des Öfteren in der Gegend aufhält, könnte sie dennoch den richtigen Stoff besorgt haben