Im Bann des Blutmondes

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Es war ein Ereignis, wie es einerseits so selten nicht ist, aber andererseits in der Länge so schnell nicht wiederkommt: Eine totale Mondfinsternis. Und ganz nebenbei wird diese auch noch begleitet von einem sehr nahe stehenden und gut zu sehenden Mars. Wir haben uns das Ereignis von einem Planetarium aus angesehen und berichten von unseren Eindrücken.


Am Morgen des 27.7. erwarten mich wie üblich zahlreiche Nachrichten und diverse Anrufe. Einer von letzteren verweist mich dabei auf ein Treffen mit einer Kontaktperson in einem nahegelegenen Kino. Dort angekommen kaufe ich eine Karte für Neil Breens „Double Down“ und setzte mich in den sehr kleinen Kinosaal, in dem außer mir niemand ist, bis eine elegant gekleidete Frau mit dunklen Haaren sich neben mich setzt.

„Atatakaku narimashita ne!!“, sagt sie, „Atatakakunai desu yo!!“, erwidere ich. Sie nickt, ich schüttele den Kopf. Sie nickt wieder, übergibt mir einen Umschlag und verlässt den Saal. Ich öffne den Umschlag und lese: „Virtuelle Überwachung von Person 41913 sofort abbrechen. Ergebnisse platzieren in: R2x(UB);1/4;NLB456:4;118119. Außerdem: Luna Festival im dortigen Planetarium. Vielleicht interessant für Ihre Zeitung?“

Ich seufze, stecke den Umschlag ein und mache mich auf den Weg zum Hauptbahnhof, um ein Ticket für die Reise in diejenige Stadt zu kaufen, die ich nie wieder betreten wollte. Doch im Leben eines jeden Journalisten kommt irgendwann der Moment, da er sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellen muss. Heute ist es nun einmal für mich soweit.


Die Fahrt mit dem Zug beginnt um 13.04 Uhr und dauert vier Stunden. Nachdem ich endlich an der vom Brief genannten Stelle bin, deponiere ich dort die Ergebnisse meiner Überwachung und mache mich, da es schon relativ spät ist, auf den Weg zum Planetarium. Als ich ankomme, sehe ich, dass das lunare Festival schon in vollem Gange ist. Der Eintritt in das Planetarium und die Kuppel sind heute frei, Essen kann auf dem Platz davor gekauft werden. Zur Auswahl stehen Currywurst mit Pommes, indisches Streetfood und vegane Burger sowie einfach gar nichts zu essen. Ich entscheide mich notgedrungen für letzteres, da ich bei allen Ständen nicht mal das Ende der Schlange finden kann.



Dieser Mob aus Blutmondhuldigern hat bestimmt einen heidnischen Hintergrund


Ich mache einen Versuch, in die Planetariumskuppel zu gelangen, aber das Gedränge auf dem Platz draußen ist einfach zu dicht, so dass für einen abgebrochenen Gartenzwerg wie mich kein Durchkommen zum Planetariumsgebäude ist. Glücklicherweise schubst mich in dem Moment ein zwei Meter großer und zwei Meter breiter Mann zur Seite und drängelt sich durch. Ich nutze die Gelegenheit und folge ihm durch die Menge. Glücklicherweise ist sein Ziel offenbar ebenfalls die Kuppel. Oder auch nicht: Im Planetariumsgebäude wendet er sich den WCs zu.



Wegweiser zu einer Hauptattraktion


Gerade wird ein ganzer Besucherstrom in die Kuppel gelassen. Es gelingt mir, mich einfach dazwischen zu mogeln und in den wunderbar klimatisierten kreisrunden Raum zu gelangen. Einen Sitzplatz erhasche ich nicht mehr, aber es macht mir nichts aus, mit dem Boden Vorlieb zu nehmen. Gespannt lausche ich den Erklärungen, wie der Blutmond zustande kommt, warum er rot erscheint und weshalb wir den Mars heute auch so deutlich sehen können. An die gewölbte Kuppeldecke wird derweil ein Livestream der beginnenden Mondfinsternis geworfen, der irgendwo aus Namibia kommt. Nach zwanzig Minuten werden die Besucher der Kuppel gebeten, diese wieder zu verlassen, damit die nächste Gruppe hinein kann. Ich überlege, der Anweisung nicht Folge zu leisten, weil es hier drin einfach kühler ist. Nichtsdestoweniger entscheide ich mich schlussendlich dafür, sozial zu sein. Ein schwerwiegender Fehler: Kaum habe ich die Kuppel verlassen, schlägt mir die Hitze wie eine Wand entgegen.


Wieder draußen auf dem Platz mache ich noch einmal den Versuch, an Essen zu gelangen. Auf der Suche nach dem Ende von irgendeiner Schlange kämpfe ich mich mühsam durch das Gedränge, mein hässliches Polohemd klebt bereits schweißnass an meinem Körper. Irgendwer nutzt die Gelegenheit, um eine Zigarette auf meinem Arm auszudrücken. Ich selbst trete aus Versehen einem Flipflopträger in die Hacken, aber wer sich so anzieht, ist halt auch wirklich selber schuld.



Ich hätte heute Mittag ja eine Konserve gegessen, aber ...


Ich gebe nach einiger Zeit den offenbar vergeblichen Versuch einer Nahrungsmittelakquisition in der Nähe des Planetariums auf und entscheide mich stattdessen, ein wenig durch die Gegend zu laufen, um vielleicht ein Etablissement zu finden, das nicht so überlaufen ist wie die Stände am Planetarium. Schließlich ist es noch hell und der Mond geht erst in einer Dreiviertelstunde auf, also werde ich wohl nichts verpassen. Ich laufe durch die Straßen, werde auf einem Zebrastreifen fast überfahren und finde schließlich eine Pizzeria, die aber ebenfalls hoffnungslos überfüllt ist. Nach einigen Minuten weiterer Suche trete ich mit immer noch knurrendem Magen den Rückweg an. Indes ist am Himmel noch nichts zu sehen und allmählich macht sich bei mir Frustration breit. Man hatte mir versprochen, dass ich Blut sehen würde, wenn halt auch in Form eines Mondes.


So langsam wird es dunkel und die Venus ist bereits am Himmel zu sehen. Während ich diesen Planeten ja eigentlich ziemlich heiß finde, hat er sonst leider nicht viel zu bieten. Die von ihm verbreitete Atmosphäre ist ziemlich ätzend und es mangelt an sinnvollen inneren Werten. Außerdem ist die Venus trockener als die Wüste Sahara. Mit und auf diesem Gesteinsbrocken möchte man wirklich nicht leben – vermutlich kann man es auch nicht, es sei denn vielleicht, man ist ein Bakterium, das es geschafft hat, sich in den Schwefelsäurewolken des erdnächsten Planeten häuslich niederzulassen. Ob das wiederum möglich ist, wird aber ebenfalls bezweifelt.



Immerhin legt die Venus eine halbwegs vernünftige Show an der Stange hin


Unmut macht sich breit unter den Anhängern des Blutmondes. Laute „Wir wollen den Mond!“-Rufe werden skandiert, die Menge schüttelt ungeduldig die Fäuste, einige schreien, dass sie betrogen worden sind und ihr Geld zurück wollen, das sie nicht gezahlt haben. Aber es ist nun einmal so: Die Gesetze des Himmels lassen sich nicht ändern, auch nicht mit der Wut und den Gebeten von Tausenden. Das Luna Festival als Metapher auf die Religion? Als eine Veranstaltung von Leuten, die von einem Objekt aus einer höheren Sphäre Dinge fordern, während dieses Objekt selbst auch nur weltlich und in Naturgesetze eingebunden ist, denen es nun einmal folgen muss? Naturgesetze, an denen niemand etwas ändern kann? Vielleicht gibt es so etwas wie einen Gott, aber vielleicht ist er dann eben wie der Mond – auf einer starren Bahn gefangen, unfähig, uns zu hören oder zu sehen, denn der Mond hat weder Augen noch Ohren und ist außerdem ganz weit weg.



Wie S/sie sehen, sehen S/sie nichts


Ein interessanter Funfact über Mond, Mars und Erde: Der Mars ist tatsächlich entstanden, als ein mondgroßes Planetesimal streifend auf die Erde einschlug und … Ne, Moment. Nein, genau: Die Erde ist entstanden, als ein marsgroßes Planetesimal auf den Mond … Nein, das war es auch nicht. Irgendwas jedenfalls mit Entstehung, Mars, Erde, Mond und einem Planetesimal, das so groß wie eins dieser Objekte gewesen ist. Was auch immer ein Planetesimal noch gleich war. Tut mir leid, liebe Leser und Leserinnen, aber ich kriege es nicht mehr richtig zusammen. Die Enttäuschung ist unendlich, verfolgt mich später während meiner Nachtruhe und beschert mir Alpträume.


Endlich ist es so weit: Über einer Häuserreihe geht der Mond auf, bereits vollkommen verdunkelt und schwach rötlich leuchtend. Jubel breitet sich aus, manch einer fällt vor Freude in Ohnmacht. Mit Leuchtfarbe falsch beschriebene Spruchbänder werden enthüllt: „Wir liben dich Mond!“ – „Ich wil einen Meteor von dir!“ – „Das ENDE ist nahe!“ Überall werden Handys gezückt, man fotografiert mit Blitzlicht. Anschließend wird laut „Der Mond ist aufgegangen“ angestimmt, wobei ich nur froh bin, dass ich den Text nicht kenne. Einige Leute verschwinden direkt wieder, nachdem sie ein Foto gemacht haben – ganz offenbar sind es Pseudo-Mondfans, die jetzt nur auf den fahrenden Zug gesprungen sind, um geile Stimmung und geile Bilder abzustauben. Aber in Wirklichkeit scheren sie sich einen Dreck um den Mond, diese Wichser.



Und könnte mal bitte einer diese bekackte Straßenbeleuchtung abstellen?


Mittlerweile sieht man sowohl Mond als auch Mars am Himmel stehen. Ich sehe mir das Ganze ein wenig an, versuche auch ein Foto zu machen, aber die Kamera meines Uralt-Smartphones ist scheinbar für die Verhältnisse generell nicht so gut ausgerüstet. Aber egal, ich kann mir später ja einfach Bilder irgendwo aus dem Internet zusammenklauen. Die anderen Zuschauer haben bei ihren Fotos noch ganz andere Probleme: Für das Festival sind überall auf dem Platz große schwebende blutmondfarbene Ballons befestigt worden, die jetzt immer wieder vom Wind in das Blickfeld geweht werden. Heldenhaft zücke ich mein Taschenmesser und schneide einen der Ballons los. Die Menge bricht in Jubel aus und trägt mich auf Händen.


Der Mond fängt plötzlich an, an einer Seite wieder heller zu werden – ein Zeichen dafür, dass er sich wieder aus dem Schatten der Erde hinausbewegt. Das Mugen Tsukuyomi findet sein Ende und es kehrt wieder Frieden auf der Welt ein. Mich hat dieser Tag jedenfalls sehr verändert, was aber vielleicht nichts mit dem Mond oder dem Mars zu tun hat. Meine letzte Reise an diesem Tag führt mich nur noch zurück in das ibis Hotel am Hauptbahnhof. Im Eingang des Bahnhofs bemerke ich einen heruntergekommenen Bettler. Ich sehe auf meine Armbanduhr, es ist 23:58, also noch zwei Minuten Zeit. Ich checke kurz noch einmal das BisaBoard, trete an den Mann heran und frage ihn, ob er mir für zehn Euro einen Gefallen tun würde. Er zuckt die Achseln und nickt. Wenn es nur nichts Erniedrigendes ist, meint er. Ich verneine dies wahrheitsgemäß; zumindest für ihn werde es nicht erniedrigend sein. Er müsse nur einen Satz sagen. Welchen Satz, fragt er. Ich spüre ein Brennen in der Kehle und Tränen in meinen Augenwinkeln. Damals im Journalistenseminar hatte uns der Lehrer gesagt, dass ein guter Journalist keine Freunde habe. Wenn das nur bedeuten würde, dass ich aus der Tatsache, dass ich offenbar keine Freunde habe, wenigstens den Umkehrschluss ziehen könnte, ein guter Journalist zu sein. Doch nicht einmal das ist mir den Gesetzen der Logik entsprechend vergönnt. „Sagen Sie bitte“, flüstere ich heiser, „‚Alles Gute zum Geburtstag, Thrawn.‘“



Hier halt noch ein Bild von jemand anderem (Quelle) - Mond und Mars sind aufgrund ihrer ähnlichen Farbe leider schwer zu unterscheiden.