Über die Unmöglichkeit, eine Utopie zu denken

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Es ist schon einige Zeit her, und leider finde ich den fraglichen Tweet nicht mehr wieder, aber ich erinnere mich noch recht gut daran, einmal auf Twitter einen kleinen Rant über den Ideenfindungsprozess in Deutschland gelesen zu haben, spezifisch ging es um die eigentlich weit verbreitete Technik des sogenannten Brainstormings, bei dem, es ist sicher bekannt, einfach erst einmal alle ihre Ideen raushauen und es eben keine schlechten oder dummen Vorschläge gibt. Der Person, die sich nun im Tweet beschwerte, ging es nun im Weiteren darum, dass deutsche Komitees und Arbeitsgruppen offenbar den Sinn dahinter nicht verstünden, denn hierzulande werde – anders als anderswo – eben dann doch an jedem Vorschlag gleich wieder rumgekrittelt, und die Dynamik der Ideenfindung komme somit immer direkt zum Erliegen, kaum dass sie angefangen hat, sich überhaupt erst zu entwickeln.


Nun kann das natürlich erst einmal als ein Grund (von vielen) gesehen werden, warum Deutschland, obwohl ständig in Panik über den Fachkräftemangel, es trotzdem nicht schafft, Leute ins Land zu holen, die ihm entgegenwirken sollten. Doch abseits der wirtschaftlichen Folge sollte uns das vielleicht auch noch zu denken geben, wenn es um Fragen der Gesellschaftsordnungen, die Kritik an letzteren und deren mögliche Verbesserung geht; muss doch wohl so langsam aufgefallen sein, dass den Versprechen von liberal-westlicher Demokratie und Kapitalismus zum Trotz es eben so rosig dann auch wieder nicht aussieht, und sei es nur deshalb, dass beides offenbar nicht verhindern kann, dass das Autoritäre, welches nach Abschaffung von Freiheit und Demokratie trachtet, sich überall auf der Welt erhebt und dabei, Stand jetzt, höchstens mal ausgebremst, nie aber wirklich aufgehalten wird. Armut, soziale Ungleichheit und Ausbeutung kommen freilich noch hinzu, und da wäre es vielleicht doch mal angezeigt, wie ein John Rawls das ausdrückte, unsere Systeme zu hinterfragen, ob sie denn noch gerecht seien, und ob es nicht vielleicht etwas Besseres gebe; indes Rawls bei dieser Aussage ja (noch) nicht Sozialist war, sondern amerikanischer Liberaler, wenn eben auch einer, der mit Deutlichkeit sah, dass weder der Grundsatz, nach dem jede*r Anspruch auf das umfangreichste System von Rechten und Freiheiten habe, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist, noch der, wonach soziale Ungleichheiten so zu gestalten sind, dass sie sich zum Wohle der am wenigsten Begünstigten der Gesellschaft auswirken (und nein, das ist nicht „trickle down“), in irgendeiner Gesellschaft auf diesem Planeten erfüllt war, und auch immer noch nicht ist.


Vor dem Hintergrund, dass es eigentlich weder radikal noch erschreckend sein müsste, die Fehler an der Gesellschaft zu konstatieren und einen Alternativvorschlag zu machen, wie es eventuell mal besser gehen sollte, ist es nun also schlicht unverständlich, wie jedes Mal, wenn Diskussionen in diesem Forum auf das Thema kommen, nie auch nur die winzigste Anstrengung unternommen wird, sich darauf wenigstens mal einzulassen, sondern stattdessen – wie offenbar im deutschen Brainstorming üblich – gleich tausend Detailgründe einfallen, warum das aber alles gar nicht geht, und zugleich erwartet wird, dass eine Einzelperson den gesellschaftlichen Wandel in all seinen noch so kleinen Facetten ausgearbeitet haben muss (aber bitte in Kurzform), bevor sie es wagen kann, seine Möglichkeit aufzuzeigen, hingegen unser derzeitiges System auf die Wenigen Gold und auf die Vielen Scheiße entleeren darf, einfach weil das nun einmal so läuft und daher auch so laufen muss.


Wenn daran gezweifelt wird, dann braucht es anscheinend nicht mehr als den Hinweis, dass „Menschen eben so sind“, in Ignoranz der Tatsache, dass unsere Gesellschaftssysteme mitnichten „natürlich“ sind und wir sehr wohl eine Wahl zwischen ihnen haben – oder zumindest haben würden, hätte die konservative Propaganda, dass unsere gesellschaftlichen Ungleichheiten und Konflikte letztlich aus der Natur des Menschen resultierten, nicht doch irgendwie selbst bei denjenigen verfangen, die sich eigentlich nicht als konservativ und teilweise als kritisch bezeichnen. Der Verweis, dass es historisch auch mal etwas anderes gab als den Kapitalismus – sein Dasein mithin nicht durch Notwendigkeit, sondern durch Kontingenz ausgezeichnet ist –, kann dann offenbar auch damit abgetan werden, dass aber in der einen oder anderen Gesellschaft auch Kinder geopfert worden wären, und somit könnten wir uns an früher nicht orientieren. Nun ging es einerseits natürlich nicht darum, jeden Ritus und Brauch von früher zu übernehmen, und der Verweis geht daher ohnehin ins Leere; aber zugleich ist es doch ironisch, denn in unserer derzeitigen Gesellschaft werden Kinder sehr wohl geopfert, nur eben nicht auf dem Altar, sondern in Cobaltminen, und nicht, damit die Sonne einen weiteren Tag aufgeht, sondern damit wir alle Smartphones haben und sie alle zwei Jahre auswechseln können.


Der Aufstieg des Autoritären ist nebenbei bemerkt kein von derartigem Abschmettern getrenntes Phänomen, sondern systematisch mit ihm verbunden, und ich rede hier nicht einmal vom Anti-Intellektualismus, der der Argumentation der Naysayer oft inhärent ist: Wer wie ich einmal gezwungen war, sich mit den Ansichten des Klientels der AfD auseinanderzusetzen (und zusätzlich letztens das Vergnügen hatte, einen Vortrag darüber zu hören, der den Eindruck bestätigt), stellt schnell fest, dass die Vorstellung einer besseren Zukunft innerhalb dieser Gruppe in der Regel Mangelware ist und es – das ist das Paradoxe – nicht darum geht, etwas zu verbessern, was ja eigentlich der Grund für politische Betätigung sein müsste, sondern das Ziel vielmehr ist, Alternativlosigkeit und Sachzwänge, mit denen ja auch der Rest des politischen Spektrums gerne argumentiert, mit einer noch viel grausameren Konsequenz durchzusetzen, und wenn das bedeutet, Sozialleistungen oder auch Subventionen für die Landwirtschaft streichen zu müssen sowie Geflüchtete abzuknallen, dann ist das eben so, und beteuert wird manchmal zwar, dass es natürlich schön wäre, wenn es anders wäre, aber es könne ja eben nicht anders sein. Die Inszenierung der AfD beruht nicht zuletzt darauf, dass alle anderen Parteien voller realitätsferner Traumtänzer seien, sie hingegen die einzige „wirklich realistische“ Partei, und eins könnte sich durchaus mal persönlich fragen, ob die eigene radikale Ablehnung jeden Versuchs, eine bessere Welt zu denken (mit Adornos und etwas aktueller Veronika Schmids Worten: der eigene „überwertige Realismus“) da nicht doch irgendwie eher noch Vorschub leistet, und es ist doch zugleich auch nichts anderes als Selbstdepravation, die ins Totalitäre mündet: Auf der einen Seite der eigenen Person die Ideen und Vorstellungen einer besseren Welt versagen, und dann auch noch zugleich auf all diejenigen eintreten, bei denen das nicht der Fall ist.


In einem Pokémonforum, so könnte abschließend gemeint werden, wäre es doch vielleicht mal okay, ganz zwanglos eine bessere Welt zu denken und zu diskutieren, statt ihre Möglichkeit bei jeder Gelegenheit mit einer solchen Überdeutlichkeit zu verneinen, als hinge die eigene Existenz davon ab.


Vielleicht würde das ja sogar Spaß machen, wer weiß – freilich ist das aber nur realitätsferne Utopie und daher nicht umzusetzen.

Kommentare 4

  • Cobaltminen, die Altäre das Kapitalismus. Allein dafür hats ein Danke verdient.

    Danke 1
  • FAX MY BROTHER! SPIT YOUR SHIT INDEED!


    Befürworter von konservativem Gedankengut haben aufgegeben auf überhaupt irgendwas zu hoffen, keine Gruselgeschichte der Welt könnte in mir dasselbe Entsetzen auslösen wie der Umstand, dass ein nicht geringer Teil der Menschheit davon überzeugt ist, das die Welt allerhöchstens etwas weniger rasant noch beschissener werden kann und dass auch die höchste aller Tugenden sich in der Erhaltung des Status Quo erschöpft. Es ist schockierend, fantasielos und wäre vielleicht auch zu bemitleiden, wenn solches Gedankengut nicht in der Regel eine allgemeine Uncoolness der betroffenen Personen mit sich bringt und es mir persönlich eigentlich egal ist, wenn sie ihre letzten Reste der Lebensfreude und Hoffnung an ihre Windmühlen verfüttern wollen. Dennoch: Schade, dass sie es nicht für sich behalten wollen. Schade, dass sie es so verbissen teilen müssen, weil in diesem Fall ist geteiltes Leid halt einfach mehr Leid.


    Aber lustig, dass ich ausgerechnet im Bisaboard über John Rawls stolpere. Danke THRAWNI für diesen Post, die Welt ist schön und deine Arbeit ist es auch.

    Danke 3
    • Ich fühls so sehr. Kenne selbst diese Leute, die auf "Viertagewoche steigert die Effizienz und es wird in 80% der Zeit gleich viel geschafft" nicht mit "oh nice win-win" reagieren, sondern mit "Dann muss ich für die Faulen ja noch mehr mitarbeiten". Man kann es noch nicht einmal als Egoismus bezeichnen, denn egoistisch wäre es wohl freilich, die Option zu wählen, die einem selbst mehr Freizeit verspricht; vielmehr ist es die Weigerung zu riskieren, dass zukünftige Generationen es besser haben könnten als man selbst, als wäre aus der Beibehaltung von Leiden für irgendjemanden etwas gewonnen.

      Danke 3
    • Das Nichtsgönnertum als Lebensstil