Werbung aus der dystopischen Hölle

Der SmartTV meines Bruders hat keine Möglichkeit, einen Adblocker zu installieren (oder hat vielleicht eine, aber ich bin zu blöd, sie zu finden) und entsprechend bin ich gezwungen, wenn ich mir irgendwas auf YouTube angucken will, Werbespots vor, während und nach den Videos zu schauen.

Immer mal wieder taucht dabei eine Werbung für ein Produkt auf, dessen Namen ich nicht nennen möchte, um ihm hier keine Plattform zu bieten, und ein fragwürdiger, mir aber eigentlich völlig egaler Streamer (dessen Name ebenfalls nicht genannt werden soll) preist das Produkt an mit den Worten, es würde dazu führen, dass eins begeistert nicht um sieben, sondern schon um sechs Uhr aufstehe, sich auf die Arbeit freue und sogar den Chef.

Ich weiß, es ist nur eine Werbung, aber gerade deswegen macht es mich so fertig. Wisst ihr, Werbungen funktionieren natürlich oft genug darüber, dass in einer vollkommen übertriebenen Art gesagt wird, dass dieses oder jenes Produkt das eigene Leben verbessere. Aber wo ist das hier? Die Verbesserung meines Lebens ist, dass ich weniger schlafe und zu einem willigen, dumm-glückseligen Arbeitstier werde? Wollt ihr mich verarschen?

Wisst ihr: Die Werbungen für bekackte Deodorants von AXE früher mit der herbeiimaginierten Vorstellung, ihre Verwendung würde dazu führen, dass konventionell attraktive Frauen direkt mal mit einem vögeln wollen, waren, wie selbst pubertierenden Teenagern klar gewesen sein dürfte, absolut absurd, und, wie besagten pubertierenden Teenagern nun wiederum nicht unbedingt klar gewesen sein dürfte, obendrein sexistisch und vom Patriarchat durchdrungen. Aber wenigstens war da noch ein bisschen Hedonismus. Sex haben ist keine Notwendigkeit und wer ein oberschlaues Arschloch ist und Brave New World gelesen hat, mag auf die Möglichkeit seiner Einhegung zum Zwecke der Systemstabilisierung verweisen, aber das mal beiseitegelassen, ist Sex ja wenigstens durchaus etwas, was Spaß machen kann, etwas, das positiv ist. Nicht umsonst rappte einst Werbe-Ikone und Laborchef Dr. Klenk:

Zitat von Laborchef Dr. Klenk

Ich hab ein Haus, hab ein Äffchen und mein Alpecin-Labor

Und die Werbegirls von Axe stehn in Schlange davor

In der Tat: Werbungen hatten früher wenigstens noch so viel Anstand, mich mit Sex ködern zu wollen oder mir weismachen zu wollen, dass ich meinen drohenden Haarausfall aufhalten kann. Jetzt erzählt mir irgendein Wichser etwas davon, früher aufstehen und fröhlicher arbeiten zu können. Für wie blöd, für was für ein unfassbares Systemopfer halten mich, halten UNS die Unternehmen mittlerweile? Erneut: Es ist nur eine dumme Werbung. Aber ich kann nicht umhin, mich zu fragen: Ist die kapitalistische Durchideologisierung der Gesellschaft mittlerweile echt schon so weit vorangeschritten, dass eine bedeutungslose Arbeitsstelle und seinen Chef lieben als das Höchste der Gefühle verkauft werden können, um damit dann wiederum anderen Scheiß verkaufen zu können? Hat der Kapitalismus wirklich schon in diesem Ausmaß zu sich selbst gefunden, schließt sich hier jetzt endgültig der Kreis? Oder, um noch pessimistischer zu sein: Hat er sich vielleicht sogar schon viel früher geschlossen, und ich merke es nur erst jetzt?

Ich will nicht unbedingt Werbung zurück, die ein halber Softporno ist. Eigentlich will ich gar keine Werbung und dass ich meine Zeit damit verschwende, mich über diese Winzigkeit aufzuregen, ist in sich schon das Problem - rege ich mich hier gerade tatsächlich darüber auf, dass Werbung mich falsch anspricht? Wie erbärmlich ist das? Aber davon ab macht mich dieser Kack halt einfach jedes Mal aggressiv, wenn ich ihn sehe, und irgendwo musste es hin.

Dieser Blog-Artikel wurde Ihnen präsentiert von Alpecin und AXE.